berliner szenen: Die Wilde 13 erwacht zum Leben
Der yard sale drohte in die Hose zu gehen. Nach wochenlanger Ankündigung versammelte sich die Hausgemeinschaft schleppend zum Sundowner vor dem Eingang der Nummer 13. Stühle und Tische kamen beinahe widerwillig herbei, Babsi und Anne hängten lustlos ein paar Klamotten an den Kleiderständer, der Elektrogrill blieb vorerst kalt.
Mit dem Roten Marke Mazedonien Headache und Ralles Sliwowitz kam die Stimmung. Die Preziosen wurden aus dem Schrank geholt, echte VEB-Spitze und ein Pappschild: Aujourd’hui: Teures extra billig! Die ersten Hipster durchwühlten die Auslage und posten auf dem Catsteig. Nach Sonnenuntergang wurde es konspirativ. Die Wilde 13 erwachte zum Leben, alte Pläne für eine feindliche Übernahme des Hauses wurden aufgewärmt, der Eigentümer zum Teufel geschickt.
Am Ende siegte die Gemütlichkeit. Im Schein der Teelichter schmeckte der Spekulatius vorweihnachtlich. Bodo mit seinem weißen Haar gab einen prima Märchenonkel. Seine Augen funkelten, als er das Lied von der Boheme im Prenzlauer Berg anstimmte. 120 Quadratmeter für 70 Ostmark, die Böden mit dem Handhobel geschliffen, Gelage mit Heiner und eine Freiheit, die grenzenlos schien, bloß dass Nürnberg auf einem anderen Kontinent lag. So war das damals, seufzte er, die Türen waren immer offen, man kam zusammen, trank, redete.
Ich suchte meine Schlüssel. Die Geschichte, wie Bodo wegen Systemkritik von der Kunsthochschule Weißensee flog und ein halbes Jahr später von den Denunzianten zum Assistenten berufen wurde, bekam ich nur noch am Rand mit. Da stand Anne vor mir, in der Hand meine Schlüssel. Keine Ahnung, wie die in meine Tasche gekommen sind, aber so ist das, man trinkt und redet und vergisst die Welt, sagte sie und lachte. Sascha Josuweit
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