Die Wiederkunft von Großenkneten

■ Viel Euphorie beim Hardcore-Superbowl im Wehrschloß

Hardcore und Punk sind in die Jahre gekommen. Wie sonst ist ein Festival zu verstehen, bei dem in Golden-Oldie-Manier junge Spunde die Helden der eigenen Musikgeschichte nachspielen? Das Bremer Hardcore-Magazin „Gags & Gore“ hatte geladen, und neun Kapellen und Projekte waren dem Ruf gefolgt, im Wehrschloß die Favoriten zu verkörpern.

Der Freitagabend begann feurig: Bremen-Norder Musikanten um den Kult-Produzenten Dirk Krusche hatten sich an das Gesamtwerk von „Inside Out“ gewagt. Das halbe Dutzend Song-Granaten wurde vor zahlreichem, aber wohlwollend verharrendem Publikum gezündet: kräftiger Hardcore der New Yorker Schule.

Schon erwärmte sich die Zuhörerschaft, aber beim nachfolgenden „Project X“ kühlte sie gleich wieder ab. Zu brachial, zu schnell und vor allem zu unbekannt waren die Songs der Möchtegern-New Yorker, die sich redlich mühten. Sie hatten sich einfach einen gar zu geheimen Geheimtip als Kultband ausgesucht.

Mehr Glück hatten „Shitlist“ aus Hannover alias „Minor Threat“. Eine ideale Band zum Nachspielen. Die Washingtoner hatten mit Songs wie „Straight Edge“ wesentlich zur Stilbildung des US-Hardcores Mitte der Achtziger beigetragen. Sie wurden auch über Insiderkreise hinaus bekannt und verfügten über reichlich Mitsing-Potential. Die Hannoveraner spielten rauh, dynamisch, aber genau und entfesselten den ersten Massentanz des Abends. Und Sänger Raoul dürfte sogar Ian McKaye persönlich vor die Frage gestellt haben, wer denn der echte sei. Von der Bühne und von den Monitorboxen stürzten sich im Minutentakt die Mutigen in die Masse, ein Bild, das verklärte Erinnerungen an die Blütezeit des Hardcore Mitte der Achtziger Jahre beschwor.

Die Erfolgsrezepte der Nachfolgenden waren mehr oder weniger tauglich. Einige überzeugten durch Authentizität, etwa die Hannover-Ausgabe der „Angry Samoans“ oder die Bremer „Messerknecht“, die einen beinahe glauben machten, es stünden wirklich die Ranzepunker „Discharge“ aus England auf der Bühne. Andere verließen sich nur darauf, daß Bands wie „Gorilla Biscuit“ (verkörpert von „Abyss“ und Gästen aus Bremen) oder „Operation Ivy“ (alias „Queerfish“) schon genügend partytaugliche Songs haben, nahmen das Proben nicht so genau und gingen baden.

„Black Flag“, wiederbelebt von „Adelheid Streidel Experience“, „Die Auch“ und einzelnen Mitgliedern von „Stinkebreit“, wagten es als einzige, das Material zu verfremden; sie spielten neben originalgetreuen Adaptionen auch ehemalige Hardcore-Songs als Schweinerock oder, wenn auch etwas holperig, ein bißchen Reggae.

Das Sahnestück kam weit nach Mitternacht: Vor dem ausgepumpten, aber euphorischen Publikum gelang der Allianz von „Saprize“ und „Harmonizer“ das Wagnis, nach Großenkneten zu schauen, anstatt einer US-Band nachzueifern. Ihre Version der ersten „Trio“-LP war ein grandioser Abschluß, bei dem selbst Stefan Remmler Hören und Sehen vergangen wäre.

Schaler Nachgeschmack: Der Ausflug in die Musikgeschichte war erfolgreicher als die meisten Gegenwartsveranstaltungen der Hardcore-Szene. Natürlich bot der Blick zurück für alternde Szene-Aktivisten die Gelegenheit, wehmütig ein bißchen Vergangenheit zu spielen. Aber es war dann doch eher die Leistungsschau einer springlebendigen Subkultur, und das bißchen Nostalgie wurde von der jugendlichen Dynamik der Bands einfach weggeblasen. Lars Reppesgaard