Die Werbepause: Sowjetkings im Billigflieger
Werbeagenturen entdecken Revoluzzer: Rio Reiser musste für den Baumarkt herhalten, Castro für Brausepulver, Stalin fürs Billigfliegen. Was droht als Nächstes?
Morgens um kurz vor acht, nach der Werbung für Winterreifen und Elektroheizungen, dröhnt auf einmal die olle Sowjethymne aus den Radiolautsprechern. Denkt man zunächst an einen technischen Defekt, vielleicht ist ja plötzlich auf gleicher Frequenz ein kubanischer oder nordkoreanischer Sender zu empfangen, wird man sogleich von einer lasziven Frauenstimme aufgeklärt. "Managerkomfort zum Klassenkampfpreis!" Alles klar! Das Unternehmen Germanwings benutzt das historische Tondokument als Werbegag. Der teutonische Billigflieger, quasi die Partei des Prekariats, bläst mit seinen 1-Euro-Ticket-Malle-Bombern mal wieder zum Preiskrieg gegen die bourgeoisen Linienfluggesellschaften.
Mancher besorgte Anrufer, so verlautbarte es inzwischen aus der Unternehmenszentrale in Köln, empfände die Verwendung der Hymne als politisch inkorrekt. Kein Wunder: Hat doch 1940 Väterchen Stalin das schwungvolle Liedchen ausgewählt, um die nicht genug nationalistisch wirkende Nationalhymne "Die Internationale" abzulösen. Und Stalin gilt wohl selbst für provozierendste Werbedesigner noch immer als No-go-Area. Für Linke indes muss sich die Frage anders stellen. Warum wird in letzter Zeit so viel Reklame mit roten Ikonen betrieben? Rio Reisers Kampflied "König von Deutschland" musste schon für einen Freizeitpark und für Elektroläden Werbung machen. Hape Kerkeling preist als Fidel Castro Brausepulver an. Revolutionsromantik scheint marketingmäßig voll verwertbar zu sein. Vielleicht weil die Message, egal welche, emotional so echt rüberkommt. Wenn der Trend anhält, wird es grausam werden. Dr. Oetker wird mit Fritz Teufel, der Attentatspläne von 1967 gedenkend, für den Präsidentenpudding werben.
Und eine namhafte Zeitung wird Rudi Dutschke abbilden. Darunter natürlich der Satz: "Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht." Die passende Postadresse hat jenes Blättchen ja inzwischen. LUTZ DEBUS
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