Die Welt ist eine Pflanze

Auch wenn mittlerweile in allen Schichten der Gesellschaft gern gekifft wird, ist das Konsumieren von Marihuana noch immer nicht legalisiert. Einige Anmerkungen zum Kiffen anlässlich der Hanfparade

von DETLEF KUHLBRODT

Die Hanfparade ist super, und Berlin ist die Hauptstadt der Kiffer. Überall kiffen die hier. Det is hier so Usus. Das gilt als normal und wird in allen gesellschaftlichen Schichten praktiziert. Einerseits.

Andererseits sorgen das weiterhin bestehende Verbot der Droge und ihre letztlich doch eher introvertierende Wirkung dafür, dass sie in den einen Gesellschaftsschichten mehr, in den anderen weniger vertreten ist. Studenten, HipHopper und Techno-FreundInnen kiffen vermutlich mehr als Manager. Untersuchungen dazu gibt es nicht so recht. In den Drogenberichten sorgt man sich vor allem um die Jugendlichen, die zu 27 Prozent angeben, schon mal gekifft zu haben. Der Anteil der schon einmal behascht gewesenen Gesamtbevölkerung liegt bei 21,4 Prozent. Die offiziellen Zahlen kann man auch bezweifeln. Gymnasiasten aus Kreuzberg erzählen, dass mehr als die Hälfte ihrer Mitschüler Cannabis konsumieren. Gerade unter Migrantenkindern habe das Haschen in den letzten zehn Jahren rapide zugenommen, erzählen Lehrer und bestätigt der Augenschein.

Kiffen ist eine ausgesprochen ambivalente Sache. Drei Parteien (PDS, Grüne, FDP) setzen sich für die Entkriminalisierung ein. Allerdings meist eher kleinlaut, denn in der Bevölkerung ist die Akzeptanz geringer als in den Parteien, die wie die FDP oft lieber ihre Jugendorganisationen vorschicken, die etwa unter „www.bekifft-ficken.de“ die Legalisierung fordern. Insgesamt ist die Akzeptanz aber größer geworden, und im „Tatort“ kiffte neulich der Kommissar mit seinem Sohn. In Berichten über die Love Parade werden auch immer gerne Jugendliche beim Cannabiskonsum gezeigt, und in Berlin zumindest hat man nicht den Eindruck, dass die Polizei mit Vehemenz Kiffer jagt.

Andererseits wird oft der Eindruck vermittelt, Cannabis sei längst legalisiert. Dem ist nicht so. Nur beim „gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen“ sind die Strafverfolgungsbehörden angewiesen, auf eine Verfolgung zu verzichten. Was unter geringen Mengen zu verstehen sei, schwankt zwischen 30 Gramm in Hessen und Schleswig-Holstein und 6 Gramm in Baden-Württemberg und Bayern. In Berlin wird bei Mengen bis 10 Gramm von der Eröffnung eines Verfahrens abgesehen. Zunächst jedoch wird jeder, der auch mit einer geringen Menge erwischt wird, belangt: Die Droge wird konfisziert, Personalien werden aufgenommen. Als Autofahrer muss man – wenn der Verdacht besteht, man konsumiere Cannabis regelmäßig – auf eigene Kosten einen Idiotentest machen. Dann wird ein Ermittlungsverfahren eröffnet und später wieder zugemacht. 130.000 Ermittlungsverfahren in Sachen Cannabis werden pro Jahr eröffnet. Das kostet „mehrere hundert Millionen Mark“ heißt es auf der Internetseite der „Grünen Hilfe“, die sich um kriminalisierte HanffreundInnen kümmert.

Die Zeichen sind widersprüchlich; der Repressionsdruck ist unterschiedlich. Während die Hascher auf der Love Parade, beim Karneval der Kulturen oder beim CSD in Ruhe gelassen werden, wurden die Teilnehmer der Hanfparade im letzten Jahr auf dem Alexanderplatz massiv von der Polizei gefilzt. Wenn man Kiffer fragt, wieso nur 10.000 Leute zur Hanfparade gehen, sagen sie: „Wundert dich das?!“, und kichern ein bisschen: Der klassische Kiffer hat immer noch ein eher lahmarschiges Image. Er hat auch Angst, sich zu outen. Das Outing ist ja so eine Sache. Freke Over (PDS), der seit fünf Jahren auf der Hanfparade Reden hält und auch selber kifft, erzählt, dass 1997 ein Stern-Redakteur Interesse an einer Outingkampagne angemeldet habe. Die Zentralredaktion habe dann aber abgewinkt. Vermutlich würde eine Outingkampagne zwar zur Beschleunigung der Legalisierung führen, den Medien, die das machen müssten, ist das Thema bloß leider zu unspektakulär.

Der Kreis, der durch Outingkampagnen der einschlägigen Zeitungen Hanf oder Grow erreicht wird, ist schlicht zu klein, und Ärger könnte es ja auch geben. Bei einer Podiumsdiskussion am Donnerstagabend im Tempodrom empfahl Justizsenator Wieland der in einem Techno-Betrieb beschäftigten schwäbisch-koreanischen Hanfaktivistin Kim, lieber nicht allzu laut zu „klappern“. Während sich der bayrische Rastafari-Musiker Hans Söllner unter Berufung auf seine Religion das Recht auf Cannabiskonsum erstreiten wollte – das Bundesverfassungsgericht lehnte ab –, will Kim das ebenfalls versuchen unter Hinweis auf das Fehlen eines Enzyms, das ihr das Alkoholtrinken unmöglich macht.

Als ich Mathias Bröckers Ende der 80er-Jahre zum ersten Mal sah, war er noch Kulturredakteur in der taz und einer der letzten intellektuellen Freakvertreter in der Zeitung. Nachmittags hatte immer jemand gerufen „Bröckers, kiffen!“, und dann hatte man einen geraucht. Das war schön! Die pragmatische Art, wie in der taz und in anderen Berliner Alternativbetrieben gekifft wurde, war sympathisch und widersprach dem langweiligen Spießerkifferklischee.

Nachdem Bröckers vor acht Jahren das „Hanf“-Buch von Jack Herer herausgegeben hat, ist er der bekannteste Vertreter der bundesdeutschen Hanfszene. Das Buch brachte den Stein ins Rollen. Das Berliner Hanfhaus wurde gegründet, eine mittelständische Hanfindustrie entstand, immer mehr Hanfläden wurden nicht nur in Deutschland aufgemacht, und in Brandenburg begann man, THC-freien Hanf anzubauen. Der Drive, den die Hanfindustrie durch das Buch und die durchgehend positive Medienresonanz, bekommen hatte, hielt ungefähr bis 1998 an. Dann ging der Absatz zurück. Die Hanfklamotten, das schöne Hanfpapier und das leckere Hanfbier waren nicht konkurrenzfähig, der ideologische Mehrwert konnte die preislichen Nachteile – wie bei den Bioläden – nicht mehr ausgleichen.

Während man in der Schweiz die Drogengesetzgebung lockerte und in einer gesetzlichen Grauzone damit begann, in Gewächshäusern Marihuana anzubauen und es als „Duftsäckli“ zu exportieren, machte man den Hanfaktivisten hierzulande Schwierigkeiten. 1998 beschlagnahmte die Berliner Polizei in einem Großeinsatz im Hanfhaus Vogelfutter, das aktive Hanfsamen enthielt. Wegen dieser Geschichte wurde Mathias Bröckers, bis dahin Geschäftsführer des Hanfhauses, im April dieses Jahres zu 17 Monaten auf Bewährung verurteilt. Er legte Berufung ein und will bis vors Bundesverfassungsgericht gehen, „auch wenn ich mich dafür finanziell ruiniere“. Dann erzählte er empört von der Drogengesetzgebung in den USA. Es gebe dort zum Beispiel 30 Leute, die nur wegen ein paar Joints zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden seien, weil sie das Pech hatten, dreimal erwischt worden zu sein. Und beim dritten Mal gebe es ja bekanntlich „lebenslänglich“. Schlimm ist das!

Die Hanfparade 2001 startet um 13 Uhr am Halleschen Tor in Kreuzberg. Die Abschlusskundgebung beginnt um 16.30 Uhr vor dem Roten Rathaus.