bücher aus den charts : Die Welt hat schon zugegriffen, jetzt fehlt nur noch Deutschland: Michael Wallners Roman „April in Paris“
Um es vorweg zu sagen: Dieser Roman von Michael Wallner steht nicht in den Charts. Noch nicht. Denn er liegt erst seit gestern im Buchhandel und kann frühestens am übernächsten Montag in den Bestsellerlisten auftauchen. Dafür spricht einiges, war doch Wallners „April in Paris“ der Renner auf der letzten Frankfurter Buchmesse. Agenten und Scouts aus aller Welt waren begeistert von einem achtzigseitigen ins Englische übertragenen Auszug aus dem Roman, der die Liebesgeschichte eines deutschen Soldaten und einer französischen Widerstandskämpferin im Paris des Jahres 1943 erzählt. Wie beim Film geht Literatur aus Deutschland, die die Nazizeit zum Thema hat, im Ausland nach wie vor wie geschnitten Schwarzbrot, und stolz vermeldet der Verlag: „Die Übersetzungsrechte wurden schon vor Erscheinen verkauft nach: Australien, Brasilien, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Holland, Israel, Italien, Kanada, Norwegen, Portugal, Spanien, USA“. Dreizehn Länder, vier Kontinente, das Geschäft ist gelaufen. Der Verlag kann das jetzt sportlich sehen, wird aber sicher einiges tun, um „April in Paris“ auch hierzulande in die Erfolgsspur zu bringen.
Dass sich der 1958 in Graz geborene und auch als Regisseur und Schauspieler tätige Michael Wallner in dieser schon befand, lässt sich nicht gerade sagen: Drei Romane von ihm erschienen bislang bei drei Verlagen („April in Paris“ hat jetzt einen vierten), wurden von der Kritik verrissen, wohlwollend besprochen oder ignoriert und sorgten beim großen Publikum für keine gesteigerte Nachfrage.
Das große Publikum aber hat Wallner im Visier: Ein genialer Physiker als Zeitenwanderer, eine Geschichte im Film- und Stummfilmmilieu, ein leberkrebskranker Konzertmanager, der in Wien bei einem Symphoniekonzert seine ertrunkene große Liebe wiederzuentdecken meint – das ist der Stoff, aus dem Wallner seine Romane formt. Die Zeit und die Kunst, Liebe in Zeiten historischer Umwälzungen. Gute Unterhaltung mit Anspruch, wobei der Anspruch der Unterhaltung aber nie in die Quere kommen darf.
„April in Paris“ mit seinem leicht abstrusen Plot funktioniert genauso. Der junge deutsche Obergefreite Roth verliebt sich bei einem Gang durch das von den Deutschen besetzte Paris in eine junge Französin, die vor einem Buchladen sitzt und ein Buch liest: „Ein Gesicht von eigenartiger Schönheit. Übergroße Augen, eine verführerisch runde Stirn, darunter rotbraune Locken: Sie hatte einen listigen Katzenkopf, die Lippen sanft und geschwungen“. So ein Anblick muss selbst den coolsten Besatzungssoldaten einfach umhauen.
Kein Wunder, dass Roth beginnt, ein Doppelleben zu führen, und zwar als Übersetzer bei Verhören mit Résistance-Kämpfern und als Feierabendfranzose, der sich seiner Uniform entledigt, so tut, als sei er Pariser und die Frau mit dem Katzenkopf sucht. Es kommt, wie es kommen muss: Er trifft sie wieder, sie lieben sich. Sie aber entpuppt sich als Widerstandskämpferin, was wiederum ihn in Konflikte bringt und am Ende in die Kerker der Gestapo.
Mal abgesehen davon, dass dieser Roman in die Zeit passt und das Bild des einfachen, harmlosen und unschuldigen Wehrmachtssoldaten zeichnet (auch Roths dicker Freund Hirschbiegel ist so einer), glänzt Wallner mit filmreifen Szenen, die man alle schon einmal gesehen zu haben glaubt. Genauso oft glänzt aber der Kitsch: der Buchladen, das Bordell, in dem Roths Liebschaft tanzen muss, die brutalen gebildeten deutschen Vorgesetzten, die Stadt der Liebe, auch unter den Deutschen immer eine Stadt der Liebe, oje, flirt, flirt. Am Ende driftet Wallners Roman ins Gothic- und Kellerhafte, auch Roths Flucht über die Dächer und in den Gassen von Paris hat sich gewaschen, und das unhappy Ende ist fieser Schmonz. Dreist ist das alles, pseudokomplex, solide unterhaltsam: Lesefutter mit Chart-Ambitionen. GERRIT BARTELS
Michael Wallner: „April in Paris“, Luchterhand Verlag, München 2006, 240 Seiten, 19,95 Euro