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Die WahrheitWohin bloß in der Welt?

Abgesehen vom lokalen, tiefenentspannten Döner-Wirt, scheint der Rest der Welt durchzudrehen, besonders die Springer-Postille „Welt“.

K ein Zweifel. Die Welt will uns loswerden. Anders kann man das nicht mehr verstehen. Eine kleine Auswahl von Schlagzeilen: „Ciao, Deutschland – Wer mit dem Gedanken spielt, auszuwandern, sollte es jetzt tun“ (3. 7. 2024), Teaser: „Fast 300.000 Bürger verlassen Deutschland jedes Jahr. Verständlicherweise.“ Oder: „Unzufriedene Deutsche – Auswandern ist ein Akt der Notwehr“ (27. 8. 2024). Oder: „Bemerkenswerter Anstieg – Auswandern macht Deutsche zufriedener als die Geburt eines Kindes“ (18. 12. 2024).

Und wo soll’s hingehen? Ganz egal – Hauptsache, weg. „Auswandern? Was das Top-Verdienerland Island so attraktiv macht“ (12. 1. 2025). Und es geht den Menschen wirklich gut, wenn sie dem rotgrünen Sumpf hier entronnen sind: „Deutsche in Norwegen – ‚Ich kann mir nicht vorstellen, bald wieder nach Deutschland zu ziehen‘ “ (12. 11. 2024); „Deutsche Auswanderer – ‚Momentan bleibe ich lieber in Ungarn‘ “ (4. 10. 2024); „Rentner in Thailand – ‚So viel kann ich hier gar nicht ausgeben.‘ “ (1. 11. 2024); „Auswandern nach Dänemark? Hier finden Sie Ihr Eigenheim zum Schnäppchenpreis“ (2. 3. 2025); „Leben in der Schweiz? Das sind die Tipps des Auswanderer-Coachs“ (4. 2. 2025).

„Apropos Auswandern – hast du jetzt eigentlich mal mit Judith telefoniert?“, fragt die Frau beim Abendessen im türkischen Grillhaus. Judith ist eine gemeinsame Freundin, die seit 15 Jahren in Texas lebt. Jetzt will sie weg dort, wegen Trump.

„Bei den Umfragewerten für die AfD sollten wir auch allmählich mal drüber nachdenken, hier abzuhauen“, sagt die Frau. „Tja, aber wohin?“, frage ich. „Am Ende wollen immer alle nach Kanada“, sagt die Frau kopfschüttelnd, „aber das will Trump ja als Nächstes holen. Da könnte man doch gleich nach Grönland gehen oder nach Panama.“

Es ist vertrackt

„Argentinien scheidet auch aus, wegen dem irren Milei“, bedaure ich. „Australien vielleicht, oder Neuseeland?“, schlägt die Frau vor. „Die gehören traditionell zu den engsten Verbündeten der USA“, gebe ich zu bedenken, „Skandinavien vielleicht? Oder die Schweiz?“ Die Frau schüttelt den Kopf: „Da sind doch schon die ganzen bescheuerten AfD-Freak-Welt-Leser. Das ergibt ja nun überhaupt keinen Sinn, wenn wir uns da alle wiedertreffen.“ Es ist vertrackt.

Da mischt sich plötzlich Tarek ein, unser Döner-Wirt. „Also, ich bleib auf jeden Fall hier“, sagt er bestimmt: „Ich bin im Wedding geboren. Meine Eltern sind aus Anatolien hierher und haben sich hier was aufgebaut. Jetzt habe ich eigenen Döner-Imbiss! Ist doch gut hier. Sicher, viele Irre, aber auch viele gute Leute. Und alle kaufen Döner, die Guten und die Irren. Einen Teufel werde ich tun und hier abhauen. Wenn hier einer von der AfD dumm kommt oder der Russe oder der Musk mit seinen Teslas, dann kriegen die eben aufs Maul. Oder einen Döner natürlich, wenn sie bezahlen. Und ihr? Noch einen Ayran? Ist Aktionsangebot, gibt Ayran gratis.“

Wir nehmen dankend an. Ich denke, wir bleiben noch ein Weilchen.

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Heiko Werning
Autor
Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).
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