: Weltgeist setzt auf Marsmännchen
Trump gegen Harris: Was hält die traditionelle Oktober-Überraschung vor der Wahl in den USA jetzt noch bereit?
Von Michael Ringel
Für die einen ist es die Entscheidung zwischen Gut und Böse. Für die anderen die Entscheidung zwischen Böse und Gut. Nachdem es jetzt bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November 2024 auf ein Duell zwischen Donald Trump und Kamala Harris hinausläuft, fragt sich alle Welt: Was kann nun noch kommen? Die beiden großen Überraschungen im Vorfeld sind überstanden und haben wie immer die Zunft der Hellseher und Wahrsager in Verruf gebracht, wenn die In-die-Kugel-Gucker denn überhaupt einen Ruf haben.
Auf der einen Seite ein Attentat auf Trump, das ihn mindestens zu Christus macht, dessen blutig gestreiftes Ohr von seinen Jüngern inbrünstig angebetet wird. Auf der anderen Seite ein amtierender Präsident, der sich in den Seilen des Alters verfangen hat und trotz aller greisen Sturheit zurückgetreten ist, um den Weg für eine frische Kandidatin freizumachen, wobei jeder Pfirsich aus Kalifornien auf den Obstmärkten frischer wirkt als die Vizepräsidentin.
Zum einen Trump, der schon einmal das Amt innehatte und dabei derart groben Unfug veranstaltete, dass jeder Vierzehnjährige gleich in eine der berüchtigten staatlichen Besserungsanstalten eingewiesen worden wäre. Zum anderen Harris, die während ihrer Amtszeit im Weißen Haus so blass blieb, dass ihre jamaikanischen Vorfahren sie für eine aschfahl geschminkte Voodoo-Priesterin halten, obwohl ihr es nicht gelungen ist, ihren scheintoten Chef wieder zum Leben zu erwecken.
Und so wird das Erwartbare geschehen: Der Republikaner Trump wird im Wahlkampf seine zarten Weisen weiter trällern und die angeblich linke, woke und unnahbare Demokratin Harris mit Liebe überschütten – mit der Liebe zu sich selbst und allen daraus resultierenden Hassgesängen gegen jeden, der ihm im Weg steht. Und die Demokratin Harris, der nicht einmal El Hotzo als Wahlkampfmanager ein neues Image verpassen könnte, wird einfach den Altersspieß umdrehen und den Stachel der Senilität in den 78-jährigen Gegner bohren, bis nur noch trübes Hirnwasser aus ihm herausfließt, falls er denn überhaupt ein Hirn hat.
Aber was für Überraschungen kann der an Sensationen bislang nicht arme Endkampf um die 47. Präsidentschaft der USA noch bereithalten? Früher, als die Brandmauern der Moral noch nicht eingerissen waren, gab es vor den traditionell im November stattfindenden Wahlen stets die große sogenannte „October Surprise“ – jene überraschende Wendung, die laut Lexikon „maßgeblich zur Beeinflussung der Wahl beitragen kann“.
Gern wurde einem der zuvorderst männlichen Kandidaten ein unsittliches Verhalten nachgewiesen, er habe zum Beispiel jemandem sein Würstchen vorgezeigt. Die Kunst der „Spin Doctors“ genannten Berater bestand dann darin, die Sache kleinzureden, und die Betrachter konnten sich daran erfreuen, wie krampfhaft versucht wurde, das kleine Würstchen unter den Teppich zu kehren. Und wer schon einmal Würstchen unter einen Teppich gekehrt hat, weiß, wie schwierig das ist.
Donald Trump hat allerdings inzwischen alle traditionellen Sitten und Gebräuche außer Kraft gesetzt, und nicht einmal der Weltgeist ist momentan in der Lage, gegen ihn anzukämpfen. Es herrscht eine Art abwartender Stillstand: Trump ist sich seiner Sache sehr sicher, Harris gibt den Underdog. Und darin liegt die Hoffnung beider Seiten. Nur eben der Weltgeist erscheint erschöpft und weiß nicht mehr, wohin er die Geschicke der Menschheit lenken soll.
Selbst wenn man sich aufs glatte Terrain der Hellseher und Wahrsager begibt, ist deshalb eine mögliche Entwicklung bis zum Wahltermin am 5. November, dass nichts, rein gar nichts mehr passiert. In China fällt ein Sack Reis um, in Russland ein Oligarch aus dem Fenster. Alles wie gehabt.
Die andere Möglichkeit ist, dass der Weltgeist jetzt „All-in“ geht und auf die ultimative Steigerungsform setzt: Außerirdische landen auf der Erde! Selbstverständlich in einer Wüste im Mittleren Westen der USA. Die grünen Männchen steigen aus ihrem Raumschiff, rufen „Vertraut uns!“ und mähen mit ratternden Maschinengewehrsalven das humane Begrüßungskomitee nieder. Eine globale Bedrohung, die alle Terraner rapido eint, den US-Wahlkampf jedoch vorerst beendet.
Nur Donald Trump wird wettern und behaupten, dass es die Aliens gar nicht gibt, ihre Attacke vom Weißen Haus und vom liberalen Hollywood inszeniert wurde. Doch die Kriege in Gaza und der Ukraine, überall im Erdenrund werden sofort beendet. Die Menschheit wird die Bedrohung von außen wie die planetare durch den Klimawandel einig und geschlossen mit aller Kraft bekämpfen.
Genau so wird es kommen. Im Oktober 2024. Dem historischen Monat der großen Überraschungen. Man muss nur an Marsmännchen glauben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen