Die Wahrheit: Danke, du Prophet des Gedeihens!

Die Wahrheit-Sommerserie „Wahre Wunder“ (9): Lobgesang auf Robert Wirchler, einen etwas anders erfolgreichen Heiler.

Porträt der Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht in Farbe

Der beste Weg, Jünger zu verlieren: sie Sahra Wagenknecht aufschwatzen Foto: Stefan Boness/ipon

So konnte es nicht weitergehen. Robert Wirchler war ratlos. Das Ganze war einfach aus dem Ruder gelaufen. Wenigstens lohnte es sich. Der schier unfassbare Zuspruch, den er erhielt, lag sicher auch an diesen unsicheren Zeiten, in denen die Menschen aus Angst, man würde sie schon bald zum Gendern zwingen, nächtelang nicht schlafen konnten.

Als vor nicht einmal zwei Jahren alles anfing, hätte er nie und nimmer daran gedacht, dass sich seine Fähigkeiten zu einem kleinen Business auswachsen könnten. Es war ja auch nicht viel, was er tun musste. Oder sah er das zu bescheiden?

Mal legte er die Hand auf die Schulter seiner Kunden, mal reichte es, Ihnen gute Wünsche per Mail zu übermitteln. Und bisweilen erreichten ihn auch Schreiben von dankbaren Menschen, die davon berichteten, dass sich ihr Leben verändert habe, einfach nur weil sie sich ganz intensiv gewünscht hatten, er möge ihnen helfen.

Natürlich hatte Robert Wirchler auch Kritiker. Er verstand die Menschen, die sich nicht in die Schar der Jubilierenden einreihen wollte, wenn er wieder einmal einem Blinden zwar das Augenlicht zurückgegeben, ihn dabei aber taub gemacht hatte. Seine Wunder waren umstritten. Denn ihre Nebenwirkungen waren unkalkulierbar.

Zu glauben, ein Gehörloser, dem er die Fähigkeit zu hören geben würde, müsste nun als Blinder weiterleben, wäre zu einfach. Nur einer der acht einst Gehörlosen war nun blind. Die anderen lebten mit anderen Einschränkungen weiter. Zwei waren von den Lendenwirbeln abwärts gelähmt, einem war ein dritter Daumen gewachsen, drei litten unter chronischen Clusterkopfschmerzen und einer hatte alle Zähne im Unterkiefer verloren.

Logo der Serie Wahre Wunder

Illustration: Zeichnung: Rattelschneck

Bisweilen fragte er sich schon, wie es sein konnte, dass die Menschen ein so hohes Risiko eingingen. Aber da gab es ja auch die Fälle, in denen es zu keinen nennenswerten Nebenwirkungen gekommen war. Julian Herwig, dessen Gehirntumor er zum Verschwinden gebracht hatte, kann jedenfalls ganz gut leben mit dem nicht allzu großen Pickel, der ihm auf der rechten Arschbacke gewachsen war.

Renate Wolfgruber, die sich wegen wuchernder Metastasen in ihren Gedärmen an ihn gewandt hatte, war zwar zunächst ein wenig erschrocken über den Buckel, der ihr nach vollbrachtem Wunder gewachsen war, hat sich inzwischen aber daran gewöhnt. „Lieber hinten rund, als unten wund“, beliebt sie bis heute zu witzeln.

Kunden, die mit den Begleiterscheinungen der Wunder nicht so gut zurechtgekommen sind, versuchten nicht selten vor Gericht gegen Wirchler vorzugehen. Klar, wer für die Mobilisierung eines steifen Zeigefingers ein Lungenkarzinom bekam, konnte schon mal sauer werden. Aber die Richter waren meist auf Wirchlers Seite. Die Verträge waren wasserdicht. Außerdem hielt sich der Schaden in Grenzen. Weil er nur nebenberuflich als Wunderheiler tätig war, verlangte Wirchler nicht allzu viel für eine herkömmliche Heilung. Für den steifen Finger hatte er 9,99 Euro verlangt. Da konnte man nun wirklich nichts sagen.

Erste Wunder in der Bahn vollbracht

Längst waren die Medien auf ihn aufmerksam geworden. Alles, aber auch alles wollten sie von ihm wissen. Wer seine Eltern waren, wo und wie er aufgewachsen ist, warum er damals zur Bahn gegangen war, wo er bis heute als Schaffner arbeitete. In der Bahn hatte er auch sein erstes Wunder vollbracht. Es hat ihn selbst vielleicht am meisten überrascht, als ihn damals jener Mann im Rollstuhl bat, ihm beim Aussteigen zu helfen, um dann einfach aufzustehen und loszugehen, nachdem Wirchler ihm auf die Schulter geklopft und gesagt hatte: „Alles wird gut!“

Dass der nicht gerade ansehnliche Abszess, der dem Mann daraufhin mitten auf der Stirn gewachsen ist, eine Nebenwirkung seines Wunders war, konnte er damals noch nicht ahnen. Bald schon ergab jedenfalls ein Wunder das andere. Das ganze Land wusste nun um seine Fähigkeiten. Wirchlers ganze Freizeit, die er früher so gern mit Laubsägearbeiten verbracht hatte, ging nun für das Vollbringen von Wundern drauf.

Doch nun konnte er nicht mehr. Die Menschen wollten mehr von ihm als einfach nur Wunder. Sie vermuteten in ihm eine Art Heiland. Jesus habe ja auch mehr auf der Pfanne gehabt, als einfach nur ein paar Wunder zu vollbringen, meinten die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft, die sich inzwischen gegründet hatte. Seit Tagen campierten sie vor dem Haus, in dem ihr Messias in einer bescheidenen Zweizimmerwohnung lebte und warteten auf eine Botschaft.

Seine Mutter hatte ihm damals zur Kommunion ein Laubsägeset geschenkt. Er hatte keine Botschaften

Einer der Wirchlerianer erklärte der wachsenden Schar von Reportern, dass sie sich jeder Idee anschließen würden, die Wirchler formulieren würde. „Wenn es in Richtung Nazis gehen sollte, wäre das schon schwierig, aber so sei das nun mal mit dem Glauben. Man müsse ihm folgen“, bekannte der Jünger. Er rechnete aber eher mit einer Art Anti-Impfbotschaft oder anderen Weisheiten aus dem Bereich der Heilkunde. Da würde Wirchler ja auch mit seinen Wundern Zeichen setzen. Etwas G5-Kritisches hielt er für besonders wahrscheinlich.

Robert Wirchler blickte einmal mehr ratlos aus seinem Fenster aus, vor dem die Gläubigen campierten. Aber was sollte er sagen. Er hatte sein ganzes Leben lang schon Schwierigkeiten, sich etwas einfallen zu lassen. Auch zu seinem Hobby war er gekommen, weil ihm seine Mutter damals zur Kommunion ein Laubsägeset geschenkt hatte. Er hatte keine Botschaften.

Kurz überlegte er, ob er irgendwas zum Thema Heizungen sagen soll. Das beschäftigte doch die Menschen. Aber da gab es ja nun schon genug Glaubensgemeinschaften. Oder etwas über die Bahn. Da kannte er sich wenigstens aus. Doch dazu fiel ihm nun wirklich nichts mehr ein. Sollte er sie zu Sahra Wagenknecht weiterschicken? Dann wäre er seine Jünger zwar los, aber das machte es ja nun auch nicht besser.

Nein, er brauchte selbst ein Wunder. Lourdes, Tschenstochau, Altötting? Sollte er eine Pilgerreise unternehmen, auf dass ihn Gott von der Fähigkeit, Wunder zu vollbringen, befreie? Aber er glaubt gar nicht an Gott. Er war ja selbst so eine Art Gott. Das war ja schon mal eine Erkenntnis. Jetzt brauchte er nur noch eine Idee.

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kari

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