Die Wahrheit: Der nackte Arsch von Leipzig

Die Frühjahrsbuchmesse 2023 findet ein furioses Finale. Mit einem gewaltigen Fleischberg von geradezu österreichischen Dimensionen im Abort.

Am Ende der Buchmesse zeigte sich Leipzig von seiner schönsten Seite, in all seiner Pracht und Herrlichkeit, es roch nach Äpfeln und Nüssen.

Für den Wahrheitklub am Publikumssamstag hatte ich vorher spaßeshalber die Devise ausgegeben: „Die nackte Wahrheit – nackt wie Österreicher.“ Das Signalwort „nackt“ zieht immer. Da Österreich das Gastland der Messe war, sollten sich die Insassen des kotelettförmigen Landes auf der Wahrheit-Bühne ausziehen und in ihren zu Hause üblichen Naturzustand versetzen, hatte ich in der Ankündigung spöttisch verlangt und angedroht, dass wir andernfalls der verletzten Ehre Leipzigs Genüge tun und die Österreicher zum Duell fordern würden. Bei der Wahl der Waffen hatten wir uns für Seifenblasenschwerter entschieden.

Zu Beginn der Veranstaltung war mir deshalb dann doch etwas unwohl, irgendwelche abgedrehten Gestalten fühlen sich immer von der Wahrheit und ihrem Nonsens-Humor angezogen. Aber als ich in die Runde fragte, ob Österreicher anwesend seien, die sich entblößen wollten, meldete sich zum Glück niemand, nicht einmal jener österreichische Schriftsteller, der mich kürzlich nach einer Glosse über ihn und seine Damen-Erzählungen aufgebracht als „Sexist“ beschimpft hatte, aber nun vorgezogen hatte, nicht zu erscheinen. Die Gegner der Wahrheit sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Der Wahrheitklub nahm seinen gewohnt schrägen Verlauf und endete mit Seifenblasen und Buhrufen, sodass ich mich schließlich heimwärts durch die Menschenmassen zum Eingang kämpfen durfte. Die Hallen waren völlig überfüllt, da jede Menge Manga-Fans umsonst hereingelassen worden waren, wenn sie als Cosplays verkleidet auftraten. Die exhibitionistischen Kostümträger und ihre voyeuristischen Verehrer hatten sich im Eingangsbereich eigens ein Foto-Areal eingerichtet, in dem auffallend viele ältere Herren vornehmlich blutjunge Mädchen in ihrem japanischen Porn Chic ablichteten: kurze Röcke, hohe Schuhe, tiefe Ausschnitte.

Und ausgerechnet dort kam ich auf die abstruse Idee, die letzte Toilette vor dem Ausgang aufzusuchen. Ich stellte mich an ein Pissoir und bemerkte erst jetzt, dass neben mir ein gewaltiger Fleischberg mit sich selbst beschäftigt war, das Dreimannzelt von Unterhose an den Knöcheln, sodass der ranzige Riesen-arsch fahl leuchtete und die speckige Wampe seinen Dingdong verdeckte. Das bloß aus klebrigen Haaren und fettiger Haut bestehende männliche Wesen undefinierbaren Alters hatte sein Phone quer oben auf dem Urinal abgestellt, um sich zu filmen. Beim Wichsen! Ahrrrggg!

Beinah hätte ich auf das Ekel-Ensemble gekotzt. Angewidert ächzend blieb mir nur die hastige Flucht, während der nackte Arsch von Leipzig wie in Trance dumpf und stumpf weiter feuchtwarme Handlungen an sich vornahm. Nie wieder würde ich dieses grauenhafte Bild vergessen. Das musste die Rache der Österreicher sein.

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Jahrgang 1961, lebt in Berlin-Friedenau und ist seit dem Jahr 2000 Redakteur für die Wahrheit-Seite der taz.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

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