Die Wahrheit: Clubluft für den Flecktarn-Kaktus
Die neue Pflanzen-Saga: Tagebuch einer botanisch und menschlich arg Verzweifelten über die Blätter, die die Welt bedeuten.
Vor einiger Zeit veröffentlichten wir hier ein „Zimmerpflanzentagebuch“. Jetzt erreichte uns ein brandneuer Teil der Saga vom gar nicht so grünen Daumen.
20. Dezember
Pflanzengemeinschaft nach Eklat mit Bubikopf auseinandergesprengt, dazu mehrere coronabedingte Ausfälle. Venusfliegenfalle hat gerade Online-Aufbaustudium beendet (Jura, Bestnote). Ex-Model-Begonie Beggy nach Genesung zur Klangschalentherapie-Ausbildung in Heimvolkshochschule Bad Iburg. Gummibaum mit ausgewachsenem Alkoholproblem in stationärer Therapie. Kakteen lange wortkarg, doch dann Entschluss mitgeteilt: Man wolle sein Glück woanders suchen. Abschied ambivalent. Laune der übrig Gebliebenen am Boden. Keine Spur von Weihnachtsstimmung.
12. Januar
Ficus zeigt Instagram-Bild von Kaktus: Job als Türsteher in Nobelclub angenommen. Fliege, Sonnenbrille, gegelte Haare. Ficus beeindruckt von Muskelzuwachs des Ex-Mitbewohners. Begonien und Usambaras auch begeistert vom neuen Look: Ob sie mal hindürften. Vogel gezeigt. („Ihr Kleinen kämt da sowieso nicht rein.“) Beleidigtes Murren. Auch Ficus mit Hundeblick. Kühl auf ÖPNV verwiesen.
14. Januar
Neues Foto auf Insta: zweiter Kaktus im Flecktarn! Als Söldner? Etwa Ukraine? Eindeutig vertrautes Kakteengesicht in Uniform. Oder doch Fake? Bild der Venusfliegenfalle vorgelegt. Angeblich auf ersten Blick Manipulation erkannt. „Schlecht gephotoshoppt“. Trotzdem unsicher.
Verbleib des Kaktus so oder so unklar. Womöglich entführt? Unisono-Vorschlag der Usambaras: Türsteher-Bruder aufsuchen. Unschuldiger Augenaufschlag. Klar, was hier gespielt wird: Die Mädels wollen Clubluft schnuppern. Widerwillig zugestimmt, genau eine Usambara mitzunehmen. Alle schreien: „Hier.“
17. Januar
Entscheidung für halbwegs vernünftiges Usambaraveilchen, selbst gewählter Deckname „UV Uschi“. Große Aufregung, lange Session mit Freundinnen im Bad: frisieren, schminken, parfümieren. Selber von Jogginghose in Jeans geschlüpft, Pullover auf rechts gedreht. Um acht mit Jacke im Flur gestanden. Mitleidiges Gelächter der Usambaras: Clubbesuch vor 23 Uhr sinnlos. Meinetwegen. Um halb zehn vorm Fernseher eingeschlafen. Kurz vor Mitternacht von Uschi geweckt. Tonnenschwere Augenlider. Aber versprochen ist versprochen. Nach Billig-Parfum stinkende Blume robust unter den Arm geklemmt. Protest: Würde ihre neuen Overknees zerknautschen. „Lieber Plastiktüte?“ Abgelehnt. Da sähe sie ja nichts.
18. Januar
Kaktus vor Club angetroffen. Tat so, als würde er uns nicht kennen. Arroganter Sack. Mussten erst lange Schlange von Primeln in Miniröcken passieren lassen. Dann endlich im Fokus seiner Aufmerksamkeit. Wo sein Bruder sei? Kaktus zuckt die Schultern. „Keine Ahnung.“ Mutmaßlich manipuliertes Bild gezeigt. Pokerface. Im Vorbeigehen schnelle Gettofaust mit stadtbekannter Yuccapalme auf dem Weg in den Club.
Uschi strahlt Palme verliebt an. Die „Kleine“ dürfe mit, grunzt Yucca. Panik. Uschi allein in dem Sündenpfuhl? An verdutztem Kaktus vorbeigedrängelt. Drinnen laut und unübersichtlich. Im Schummerlicht durch irgendwelche Schwaden gestolpert, wummerndes Zwerchfell. Irritierte Blicke. Wen ich hier abholen wolle. Auf Uschi im Arm der Yuccapalme in der VIP-Lounge nebenan gezeigt. „Vergiss es“, sagt Efeutute hinter der Bar und schenkt mir doppelten Wodka ein. Geturtel von Uschi und Yuccapalme selbst damit kaum zu ertragen.
Palme schenkt immerzu Champagner nach. Auf dem Tisch irgendein weißes Pulver. VIP eben. Uschi mit festgetackertem Dauerlächeln. (Ab wann sind Usambaraveilchen eigentlich volljährig?) Bekomme weitere Schnäpse vorgesetzt. Immer beduselter. Tröstlicher Gedanke: Kopf gemütlich auf Tresen ablegen.
Plötzlich laute, bellende Stimmen. Musik bricht ab. Hässliches Licht. „Razzia!“ Alle rennen durcheinander, Yuccapalme wirft kreischende Uschi von sich, feige Flucht durch Hinterausgang. Eindeutig kein Gentleman. Uschi wimmernd am Boden. Beim Versuch, sie aufzuklauben, harter Griff um Oberarm. Schnauzbärtiger Polizist: Wo ich mit der Pflanze hinwolle. Und was das da auf dem Tisch sei. Blick fällt auf weißes Pulver. Schulterzucken. Ich sei ja nur zufällig hier – und ganz sicher kein VIP. Polizeiliches Hohngelächter. Hysterisch bibbernde Uschi. Verweis auf Efeutute als Zeugin, doch Bartute plötzlich verschwunden. Von Beamtem nach draußen geschleift. Personalien angegeben. Uschi natürlich ohne Perso los. Müssen mit auf die Wache. Im Kleinbus weitere Unschuldige mit grauen Gesichtern. Fußschweiß. Übelkeit.
19. Januar
Mit dickem Kopf in Ausnüchterungszelle aufgewacht. Uschi mit hängenden Blättern neben der Pritsche. Aschenbechergeschmack im Mund. Wieso noch mal das alles? Club … Türsteher … Efeutute … Razzia … Ach ja, der Kaktus.
Tür geht auf. Wir seien frei. Würden aber als Zeuginnen gebraucht. Gegenüberstellung. Es gehe um den Verdacht auf Rauschgifthandel. Ob wir von den fünfen hinter der Glaswand jemanden von gestern wiedererkennten. Das Licht geht an. Uschi schreit auf und zeigt auf gleich zwei alte Bekannte: neben einem zerrupften Feigenbaum, einer blutjungen Perlhyazinthe und einem Bogenhanf, Typ „von Beruf Sohn“, beide Kakteen mit hängenden Schultern und betretenen Blicken. Wer von beiden hat was auf dem Kerbholz? Beide womöglich? Gebe wahrheitsgemäß an, Türsteher-Kaktus vor dem Club gesehen zu haben.
Völlig erledigt nach Hause. Aufgeregter Empfang. Mit Venusfliegenfalle überlegt, was jetzt wohl aus Kakteen wird. Schulterzucken: Die beiden seien erwachsen und juristisch voll verantwortlich. Türklingeln. Club-Kaktus, kleinlaut mit schiefer Sonnenbrille: Ob er wieder bei uns unterkriechen dürfe. Job sei Geschichte, Bruder in U-Haft. Und ob Venusfliegenfalle ihn verteidigen könne. (Negativ: muss erst Referendariat absolvieren.)
20. Januar
Rätsel des gephotoshoppten Flecktarn-Kaktus gelöst: Ex-Türsteher-Kaktus offenbart, Bruder wollte von „illegaler Tätigkeit im Inland“ ablenken, daher eigene, zugegeben laienhafte Manipulation des Fotos für Annahme, er sei als Söldner in die Ukraine gereist. Aber falls er einfahren müsse, bereits Plan für Podcast aus dem Knast.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts