Die Wahrheit: Das dreckige Dutzend
Endlich eine vernünftige Liste zwischen den Jahren: Die zwölf besten Gurken der Wahrheit aus dem Jahr 2022.
An sechs Tagen der Woche, rund 300 Mal im Jahr, erscheint auf der Wahrheit-Seite die „Gurke des Tages“, inklusive der „Gurke der Woche“. Die kurze, vor über 30 Jahren entwickelte Glosse bietet auf 14 bis 17 Zeilen einen hervorragenden Platz, von allen guten Geistern verlassene Personen oder Organisationen und ihre Auslassungen zum Weltgeschehen zu gurken. Der alltägliche Sprach- und Gedankenmüll wird entsorgt – ein erfrischender Reinigungsvorgang für Hirn und Herz. Die Gurken sind kleine Perlen, die im Alltagsbetrieb oft zu schnell untergehen. Deshalb präsentieren wir nach diesem bewegten Jahr noch einmal die glitzerndsten – als klassische Hitparade von Platz zwölf bis eins.
Platz 12: 27. Januar
„Das Pustelschwein ist Zootier des Jahres“, meldete gestern die animalische Nachrichtenagentur dpa. Das Pustelschwein? Wie sieht das denn aus? Neugierig riefen wir ein Foto auf: „Kubicki!“, freuten wir uns sehr, dem unappetitlichen Schwein einen angemessenen Kosenamen geben zu können. Die Ähnlichkeit ist aber auch zu verblüffend. Damit ist der Kubicki wenigstens einmal im Leben für etwas gut: Einem armen Schwein ein menschliches Antlitz zu verleihen.
Platz 11: 16. Februar
Gib uns unsere tägliche Automatensprengung heute, beten wir jeden Morgen, wenn wir in die Nachrichtenticker schauen. Ein kleiner Flachs, denn die brutalen Räuber goutieren wir selbstverständlich nicht. Anders als die Desperado-Agentur dpa, die gestern meldete: „Geldautomaten-Bomber in Höchstform.“ Ein olympischer Hauch von Anerkennung und Wohlwollen wehte da durch die News-Welt. Als hätten die Bomber der Nation eine Medaille verdient.
Platz 10: 4. März
Nehmt den Faschos den Strom! Eigentlich eine gute Idee. Offenbar antifaschistische Kräfte haben in einer Nacht-und-Nebel-Aktion im niedersächsischen Eschede bei Celle „einen Strommast nahe einem Treffpunkt der rechtsextremen NPD abgesägt“, wie dpa gestern meldete. Allerdings sei „die Leitung wegen eines Sturmschadens bereits seit Tagen stromlos geschaltet“ gewesen. Einen stromlosen Strommast absägen? Antifaschisten! Es zählt der gute Wille.
Platz 9: 7. Mai
Eine „außergewöhnliche Kondom-Sonderedition“ hat der Pariser-Hersteller Ritex gerade herausgebracht: „Make Love Save Nature“ heißt die Gummiaktion, wie uns Ritex diese Woche mitteilte. Der Naturschutzbund Nabu werde mit 10.000 Euro aus dem Erlös beim Insektenschutz unterstützt. So weit, so gut, so biene wie blümchen. Wir haben da allerdings zwei Fragen: Ist der Spruch auf den Kondomen längs aufgedruckt? Und gibt es auch eine Kurzversion für kleinere Organe? „Love Nature“?
Platz 8: 19. Juli
Wie?! Was?! Den Weihnachtsmann gibt es gar nicht?! Und den Osterhasen auch nicht?! Wie kann man nur so brutal unsere ältesten Blütenträume zum Platzen bringen? Der Seifenblasenpiksminister Cem Özdemir erklärte gestern in Brüssel: „Wer an das Wort von Putin immer noch glaubt, der kann auch an den Weihnachtsmann oder an den Osterhasen glauben.“ Und wer bringt künftig dann Eier und Geschenke? Wladimir Putin etwa?! Iiiiiiiiiieh …
Platz 7: 26. August
„Nicht ansprechbare Jugendliche“ finden sich in jeder durchschnittlichen Familie. Jugendliche leben eben auf ihrem eigenen Planeten in einer fernen Galaxie, Kommunikation ist da kaum möglich. Deshalb ist es purer Alarmismus, was die Pubertätsagentur dpa gestern aus Hamburg meldete: „Rettungskräfte bringen drei nicht ansprechbare Jugendliche aus Park in Krankenhaus.“ Die müssen doch nicht gleich eingeliefert werden. In der Jugend ist Nichtansprechbarkeit normal.
Platz 6: 1. März
Da schlottert die Welt aber mit den Knien vor Angst: „Russland reagiert auf Sanktionen ebenbürtig“, meldete gestern dpa nach einer Ankündigung des Kremlsprechers Dmitri Peskow. Und das sind die wirkungsvollsten Sanktionen Russlands: Alle Vermögenswerte deutscher Oligarchen werden eingefroren, die Heimspiele der englischen Nationalmannschaft dürfen nur noch auf neutralem Boden stattfinden und der Eurovision Song Contest 2022 in Turin wird verboten. Das wird echt hart!
Platz 5: 23. November
Born in the United States of Party – das ist Miley Cyrus. Jedenfalls wenn es nach der Fetenagentur dpa geht, die am Dienstag ein Geburtstagsporträt der noch immer sehr jungen amerikanischen Sängerin mit einer Jahrhundertschlagzeile versah: „Drei Jahrzehnte Party in den USA – Miley Cyrus wird 30.“ Dann muss sie ja früh angefangen haben. Kaum rausgeflutscht – schon geht’s ab! Da bekommt das Wort vom „Jungstar“ eine ganz neue Dimension. You gotta fight for your right to party!
Platz 4: 6. Januar
Die Krux mit den Katholen ist ja, das sie seit 2.000 Jahren von etwas sprechen, von dem sie nichts verstehen. „Papst kritisiert kinderlose Paare“, meldete dpa gestern. „So viele Paare haben keine Kinder, weil sie keine wollen, oder sie haben nur eins, weil sie nicht mehr wollen, aber sie haben zwei Hunde, zwei Katzen“, maulte Franziskus. Und was hat der Pontifex? Nicht mal eine Frau! Nur seine hohle Hand, in die jede Nacht die weißen Tränen unerfüllter Liebe tropfen.
Platz 3: 16. Juli
Haben Sie, verehrte Wahrheit-Leser, schon mal versucht, im Schwitzkasten zu hinken? Das ist nur möglich, wenn Sie Nachrichtenknecht der Agentur AFP sind. Denn dann können sie schiefe Sprachbilder aufhängen – wie am Donnerstag, als AFP tickerte: „Wenn die Gesundheit in den Schwitzkasten gerät. Deutschlands Gesundheitswesen hinkt beim Hitzeschutz hinterher.“ Das arme Wesen! Das im Schwitzkasten überhitzt hinterherhinkt. Bitte machen Sie das zu Hause nicht nach!
Platz 2: 23. Juni
„Erste Studie über queere Menschen in Sachsen“, meldete epd gestern. Wirklich? Es soll queere Sachsen geben? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Sachsen haben doch gar kein Geschlecht. Sachsen sind einfach nur Sachsen. Und Sex gibt es in sächsischen Breitengraden gar nicht. Im Tal der Ahnungslosen müssen die Menschen sich schon genug auf ihre verbogenen Sprechwerkzeuge konzentrieren. Queer sind im Sächsischen allenfalls die Quarkkäulschen.
Platz 1: 11. Juni
Der mit großen Hoffnungen aller deutschen Formel-1-Fans gestartete Mick Schumacher erweist sich immer mehr als Highspeed-Gurke. Als einziger Bolidenpilot hat er noch keinen Punkt eingefahren, dafür baut er dauernd Unfälle. Was tun? Am Donnerstag hatte die Kreisverkehragentur dpa die Antwort: „Unfallverbot für Schumacher.“ So einfach ist das! Dem Bruchpiloten wird das Crashen untersagt. So lösen wir jetzt alle Weltprobleme: Kriegsverbot für Putin. Hungerverbot in Afrika. Sterbeverbot für Menschheit …
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel