Die Wahrheit: Mangelware heiße Luft
An allen Ecken und Enden fehlen in Deutschland inzwischen wichtige Güter wie Sonnenblumenöl wegen des Kriegs.
Erst fehlt kriegsbedingt das Sonnenblumenöl aus der Ukraine. Überall raffen Verzweifelte die letzten Vorräte aus den Regalen der Discounter. Wenn die Bestände alle sind, geht es Raps- und Distelöl an den Kragen, und am Ende wird in der größten Not nicht mal mehr Olivenöl verschmäht, das mit seinem welschen Hautgout von Stil, Geschmack und guter Küche den Leuten normalerweise zu suspekt erscheint. Die Not ist ein Hamster aus Deutschland.
Nun lässt sich zum Glück Pflanzenöl durch Trüffelbutter mehr als adäquat ersetzen. Wer das nicht weiß, der hat an Herd und Esstisch im Grunde ohnehin nichts verloren. Doch natürlich verursacht dieser Krieg bei uns auch echte Probleme und bitteres Leid, denn Deutschland steht laut Berliner Zeitung schon bald eine schwere Senfknappheit bevor! Während der deutsche Michel unter der dank Klimawandel unablässig sengenden Märzsonne ahnungslos und gutgelaunt in die erste reich besenfte Wurst der Gartengrillsaison beißt, sind die Silos der Hersteller nur noch für wenige Monate mit den meist aus Russland oder der Ukraine stammenden Senfsaaten gefüllt. Danach droht ein böses Erwachen, wenn wir auf solch harte Tour erfahren, wie nah der Krieg uns bereits gekommen ist.
Auch in anderen Bereichen ist mit schweren Einschnitten zu rechnen. Schon jetzt gibt es in Deutschland Schwierigkeiten mit diesen kleinen Kunststoff-Nupsis, die unter den Füßchen der Vintage-Wecker befestigt sind, damit sie den Nachttisch aus Edelholz nicht zerkratzen. Die kommen zwar nicht direkt aus dem Kriegsgebiet, sondern aus Kirgistan, doch die logistischen Erschwernisse sowie die allgemeine schlechte Stimmung verknappen und verteuern die Nupsis ungemein.
Ein erster dringender Appell der „Worldwide Nupsi Trade Ltd. GmbH und Co. KG“ an die Krieg führenden Parteien verhallte ungehört. „Und Joe Biden hat unseren Anruf einfach weggedrückt“, ist aus der Firmenzentrale im brandenburgischen Kleinmachnow empört zu vernehmen.
Luft aus Russland
Bei vielen Dingen wird uns erst dann klar, wie sehr sie fehlen, wenn sie eben fehlen. So mangelt es nun auch an heißer Luft, die üblicherweise aus Südrussland stammt. Doch der Nachschub stottert wegen der gegen Putin verhängten Wirtschaftssanktionen. In den deutschen Chefetagen liegen die Nerven blank. Am Telefon auf den fatalen Lieferengpass angesprochen, kreischt Suse Beinlich, die CEO des Rüsselsheimer Föhnherstellers „Flatula“, dermaßen entseelt auf, dass ihr gleichzeitig Tränensäcke, Schließmuskel und Hosenträger versagen: „Ohne heiße Luft ist unsere Branche komplett aufgeschmissen. Dann können wir den Laden dichtmachen. Für immer! Sense!“ Die Schlinge um den dicken Hals der deutschen Wirtschaft zieht sich immer enger. Wie viel kann ein Volk wie unseres eigentlich noch ertragen?
Nicht vergessen werden darf an dieser Stelle auch die katastrophale Situation der Dünnbrettbohrer. Dünne Birkenbretter aus der Taiga sind von einem Tag auf den anderen zur Bückware geworden. Nicht selten sind hiervon mittelständische Traditionsbetriebe berührt. Paul Friese, Besitzer der Dünnbrettbohrerei „Friese und Söhne“ in Lehrte, deutet auf eine leere Werkhalle, an deren hinterem Ende nur ein einziger Arbeiter an einem dünnen Brettchen bohrt. „Sie sehen ja, was hier los ist.“ Er zuckt resigniert die Schultern. „Wir bekommen einfach keine dünnen Bretter mehr zum Bohren.“
Zwar werden die ersten Arbeiter schon auf Dickbrettbohrer umgeschult, doch von denen werden naturgemäß viel weniger benötigt. Kurzarbeit und Entlassungen sind die Folge. Es ist entsetzlich, mitzuerleben, wie sehr hier Menschen unter einem Krieg leiden, an dem sie nicht die geringste Schuld trifft.
Hobeln für Deutschland
Auch der Dienstleistungsbereich ist stark beeinträchtigt, da der Zustrom an russischen Fachkräften versiegt. Zum Teil sind grundlegende Alltagsverrichtungen betroffen, an die die meisten von uns bisher noch nicht mal denken und die in Kürze dennoch umso bitterer vermisst werden dürften: So wird es in absehbarer Zeit in ganz Deutschland schwierig werden, noch jemanden zu finden, der einem gepflegt am Hobel bläst.
Hanno Rittlich, Geschäftsführer der Erlanger Vermittlungsagentur „Haus & Hobel“, verdeutlicht den Ernst der Lage: „Das ist nun mal Fachpersonal. Das kann man sich ja nicht einfach schnitzen. Wer soll uns denn jetzt hier gepflegt am Hobel blasen? Wie stellen die Leute sich das vor?“ Kein Wunder, dass die Forderung an die Ukraine, so schnell wie möglich zu kapitulieren, jeden Tag lauter wird.
Es ist praktisch eins zu eins wie bei den biblischen zehn Plagen: Sonnenblumenöl, Senf, Nupsis, heiße Luft, dünne Bretter, Hobelbläser, Arschkriecher, Teilnehmer und noch irgendwie zwei Sachen mit Y und X.
„Als das Sonnenblumenöl alle war, haben wir geschwiegen, denn wir brauchten ja kein Sonnenblumenöl“, hat ein einsamer Sprayer in blutroten Buchstaben meterhoch an den Berliner Reichstag gebombt. Ein stummer Schrei der Verzweiflung, der die Entbehrungen des Krieges, Selbstkritik und Streetart wunderbar zusammenfasst.
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