Die Wahrheit: Das Quartett ist komplett
Am Sonntag endet die Automesse IAA in München, bis dahin wird ausgiebig und selbstverständlich klimaneutral gekartelt.
Oans, zwoa, gsuffa: eins, zwei, getrunken!“. In der Halle 1b der IAA Mobility 2021 geht es mobil zu, es ist augenscheinlich Bewegung drin. Die amtierende Präsidentin des Branchenverbands der deutschen Vierradindustrie, die VDA-Oberlobbyistin Hildegard Müller, die auch mal was mit Noch-Kanzlerin Angela Merkel am Laufen hatte, hebt ihre Kaffeetasse begeistert hoch.
„Hoch die Tassen, lang lebe das Auto, lang lebe Armin Laschet!“, intoniert sie am Stand der Rixe-Fahrradverleih-Aktiengesellschaft. Selbstverständlich kämen Autos wie Laschet ab nächste Woche Donnerstag klimaneutral daher – „wenn die Politik“, so Müller, „für genug Ökostrom sorgt“ (Zitatteile sind der IAA-Eröffnungsrede Müllers entnommen, Anm. der Red.) und „sie Armin Laschet das für den Umbau seinerselbst notwendige Geld lässt, meine wenigen Damen und Herren hier am Boxenstopp“.
Hildegard Müller nimmt noch einen Schluck aus ihrer Mittfünfzigerinnentasse, in der – ja, so geht es zu in der bayerischen Landeshauptstadt, die erstmals Ausrichterin der Automobilspiele ist – in der gar kein Kaffee schwimmt, sondern Bier, starkes Starkbier mit viel, viel PS. „Oans, zwoa, gSUVa“, feixt die mittlerweile stark Blaue und sortiert erneut und akribisch ihre Unterlagen.
Die bestehen aus einem klassischen Autoquartett, für das Müller, die zugewähltes CDU-Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist, nach eigenen Aussagen „noch Mitspielerinnen und Mitstreiter sucht“. 32 bunt bedruckte Spielkarten liegen vor der Inhaberin des Bundesverdienstkreuzes und intimen Kennerin der Lobbyklubs Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft und RWE/innogy dingsbums, aber bald was mit klimaneutral.
Die gebürtige Rheinenserin aus Rheine, der westfälischen kreisangehörigen Stadt an der Ems und größten Stadt im Kreis Steinfurt, mischt aus momentaner Ermangelung an analogem Mitspielpersonal noch mal ordentlich die Karten des Autoquartetts. „Sie haben die Wahl, meine Damen und Herren und Sonstige“, jovialt die studierte Bankkauffrau, „Sie haben die Wahl, das Quartett ist komplett!“
Bundesdeutsche Bauwahlart
Ein skeptischer Herr mit Basecap und Motivshirt-Maske echauffiert sich: „Aber wir haben doch nur drei Kanzlerkandidaten, Frau Baerbock und der Scholz und das Armin, wie kommen Sie da auf Quartett?“ Müller gibt ihm „prinzipiell Recht“, dann holt sie aus und aus ihrer mobilen Jutetasche noch ein weiteres Autoquartett, diesmal „bundesdeutscher Bauwahlart 2021“. Eine „Herkulesaufgabe, die nicht unterschätzt werden darf“, sei „dieses Getriebequartett, selbstverständlich klimaneutral ausgedacht, ausgedruckt und ausgespielt, meine Damen und Herren, liebe Kinder“.
Im Ziehharmonikaprinzip lässt Müller die Spielkarten durch ihre rapsdieselverschmierten Hände gleiten. „Wir leben in bewegten Zeiten, auch uns, also die Autoquartett-, nein, die Automobilindustrie, beschäftigt vieles – viele Karten und, ja, viele Themen sehr intensiv. Über vieles würde es sich lohnen, hier auf der IAA zu sprechen, aber lassen Sie uns lieber spielen, mit der Umwelt, mit dem Klima.“ Müller nimmt noch einen starken Schluck aus der Tasse, „ach, nein, lassen Sie uns doch einfach Kanzlerquartett spielen, Mann gegen Mann und gegen Frau und gegen Mann und gegen … wo waren wir stehengeblieben?“
Der Herr mit Basecap und Motivshirt-Maske ist im spärlich vorhandenen Publikum schon weggedämmert. „Ja, Sie, ich meine Sie“, ruft Müller, Sternzeichen Käse, nein, Krebs, ihm frauisch zu, „Sie da, spielen Sie mit mir, oder was jetzt?“ Der Mann wacht auf, er nickt, er ist nicht mehr jung, er will kein Spielverderber sein wie diese jungen klimabewegten Menschen, also klettert er auf die Bühne und spielt mit, Autokanzlerinnenundkanzlerquartett mit ihr, Hildegard Müller aus Rheine an der Ems.
„Denken Sie doch als Erstes bitte an unser klares Bekenntnis zur Klimaneutralität, dann können wir loslegen“, säuselt die Sand im Getriebene, der „Kaffee“ ist aus, Müller spielt jetzt auf dem Trockenen. „Jetzt geht es um die konkrete Ausgestaltung der Spielregeln, die ich als VDA-Vierradchefin, ganz allein bestimme!“ Der Mann mit der Motivshirt-Maske nickt. „Ich fahre einen Wagen. Mit dem möchte ich auch weiterhin und weit fahren“. Müller fährt erst mal fort, „wir werden sicherlich noch viele Diskussionen um die besseren Wege für An- und Abfahrt und für die mobile Bevölkerung führen. Dazu gehören Sie und Ihre Gefährtin und Ihr Gefährt selbstverständlich auch.“ Der Mann nickt wieder, dann zieht er eine Karte vom Stapel, den ihm Müller plötzlich elektrisiert, ja nachgerade klimaneutral, anbietet.
„Mann, ja, Sie, denken Sie doch mal eine Sekunde an eine zentrale Lehre aus der Coronakrise!“ Der Herr räuspert sich, dann trägt er mit verängstigter, halbvoll getankter Stimme vor: „Modell OL, 76 PS, 15.349 Umdrehungen in der Minute, keine Zylinder. Und ich möchte meine Frau grüßen, die wäscht gerade den Wagen. Zu Hause.“
Hildegard Müller schaltet einen Gang herunter. Sie zieht mechanisch, aber klimaneutral, ein handgestricktes Taschentuch aus ihrem magentafarbenen Blazer. „Denken Sie an Ihre stillstehenden Bänder zu Hause in der Garage, weil Halbleiter fehlen und Sie nicht mehr vom Fleck, geschweige denn, pendeln können. Wo bleibt da die Pauschale?“ Der Mann weiß jetzt auch nicht mehr weiter und zieht noch eine Karte.
Klimaneutralität in Zukunft
„Modell AL, Tschuldigung, soll das jetzt für das Laschet stehen, oder für die Frau Baerbock?“ Hildegard Müller stutzt, schnappt sich die Karte. „Hören Sie mal, hier, dieser Sound, so was können nur Frauen, geben Sie her.“
Die stellvertretende Vorsitzende, unter anderem auch von was mit Klimaneutralität inmitten Zukunft hat Zukunft, räuspert sich. „Der Wandel wird allen Enormes abverlangen. Dieses Quartett zu unterschätzen, ich sage es gänzlich ohne Handbremse, wäre ein Fehler mit verheerenden Folgen.“ Der Herr mit der Motivshirt-Maske kriegt jetzt richtig Angst um seinen Wagen. Er möchte nicht mehr Autoquartett mit Hildegard Müller spielen. Die Dame ist ihm suspekt.
„Alles hängt mit allem und mit Rahmenbedingungen zusammen. Sie haben gewonnen!“ Plötzlich ist finale Bewegung im Spiel. Müller hat endlich wieder „Kaffee“ in der Tasse, und der Mann mit der Motivshirt-Maske strahlt dann doch über seine ganze Heckscheibe. Am Stand der Rixe-Fahrradverleih-Aktiengesellschaft knallen wenig später die klimaneutralen Korken.
„Wir müssen die Kräfte der Kneipenwirtschaft freisetzen für die selbstverständlich klimaneutrale Transformation hin zu noch viel stärkerem Bier mit noch viel mehr PS, dafür stehe ich, Hildegard Müller, mit meinem guten Namen!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid