Die Wahrheit: Und Orbán ging über den Regenbogen
Himmlischer Misswuchs oder Sinnbild göttlichen Heils? In Ungarn hat das atmosphärische Phänomen jetzt nichts mehr zu lachen.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán lebt offen heterosexuell. Er findet es jedoch nicht gut, dass andere Ungarn anders leben wollen, und seit er weiß, dass Regenbögen sexuelle Normabweichungen symbolisieren, sinnt er auf Abhilfe. Sein jüngster Coup ist die Verabschiedung eines gesetzlichen Regenbogenverbots, das am 1. September in Kraft treten wird.
Damit bringt er sämtliche Bürgermeister seines Landes ins Schwitzen, denn es obliegt allein ihnen, die Regenbogenbildung in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich zu unterbinden. Wie das gehen soll, ist zur Stunde noch unklar. Bei einer Dringlichkeitssitzung in Hódmezővásárhely im Verwaltungsbezirk Csongrád-Csanád haben sich dreihundert ungarische Bürgermeister am vergangenen Dienstag von Klimatologen, Physikern und Waffeningenieuren beraten lassen und Methoden der Regenbogenbekämpfung erörtert. Von Laserkanonen und Parabolspiegeln ist die Rede gewesen, von Drohneneinsätzen und Apparaturen zur künstlichen Himmelsverdunklung und sogar von Neutronenbombenabwürfen, aber keines dieser Mittel scheint etwas zu taugen.
„Wir können Gott nur darum bitten, sich ein neues Zeichen seines Bundes mit der Menschheit auszudenken“, sagt Imre Markót, der Bürgermeister von Törökszentmiklós. „Eine andere Lösung fällt mir nicht ein …“ Auch seinen Amtskollegen steht die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. In ihrer Not haben einige von ihnen sich inzwischen an indianische Regenmacher gewandt und sie gefragt, ob es auch spirituelle Verfahren gäbe, mit denen man Regen wegmachen könnte. Eine Antwort steht noch aus.
Und die Uhr tickt. Wenn den Bürgermeistern nicht bald etwas einfällt, blühen ihnen bei Verstößen gegen das neue Gesetz empfindliche Strafen – fünf Jahre Zuchthaus pro Regenbogen und für Doppelregenbögen obendrein zehn Jahre Einzelhaft. Tückischerweise hat Orbán zugleich ein Rücktrittsverbot für alle Inhaber öffentlicher Ämter erlassen.
Das kulturelle Leben wird total von den Regenbögen gesäubert
Manche Kritiker meinen, dass er es sich zu leicht mache, wenn er die Verantwortung für die Durchsetzung des Regenbogenverbots einfach an die Bürgermeister delegiere. Ein Faulpelz ist Orbán aber gewiss nicht: Erst vorgestern hat er eine volle Stunde damit verbracht, auch das kulturelle Leben in Ungarn von Regenbögen zu säubern. Auf dem Index befinden sich seither die Songs „Over the Rainbow“ und „She’s a Rainbow“, die Spielfilme „Rainbow“, „Black Rainbow“, „Beyond the Black Rainbow“ und „Rainbow Six“ sowie die ungarische Übersetzung von Johannes Mario Simmels Roman „Und Jimmy ging zum Regenbogen“ („És Jimmy a szivárványhoz ment“).
Ab September werden in Ungarn auch Entzündungen der sogenannten Regenbogenhaut des menschlichen Augapfels unter Strafe stehen. Über deren Höhe wird in Orbáns Kabinett noch debattiert. Im Gespräch sind Geldbußen, aber auch lebenslängliche Kerkerhaft und der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte.
Interessant nimmt sich in diesem Zusammenhang die Verhaftung einer österreichischen Kleinfamilie aus, in deren Gepäck an einem Grenzübergang in der Nähe der westungarischen Stadt Fertőd das Hörbuch „Ponyfee und die Reise ans Ende des Regenbogens“ entdeckt worden ist. Nach Auskunft des österreichischen Außenministeriums befinden sich die fünf Familienmitglieder im Alter von 3 bis 48 Jahren seit fünf Wochen in Ungarn in Untersuchungshaft.
Zuspruch hat Orbán nun allerdings aus Berlin erhalten. Aus naturwissenschaftlicher Sicht, heißt es in einer Pressemitteilung der AfD-Bundestagsfraktion, seien Regenbögen „ein Krebsübel der Natur“, das beseitigt werden müsse. In einer Fußnote findet sich dazu die Anmerkung: „Darauf hat schon der große Naturforscher Paracelsus im 16. Jahrhundert hingewiesen. In einer seiner Schriften lesen wir: ‚Ein jeglicher Regenbogen ist ein groß Mißwuchs im Himmel / oder ein Monstrum / das sich stellet mit zwei Spitzen auff die Erden / alß ein Inbegriff der Sinnverwirrung / so da stammet aus dem Kot des Teuffels Lucifer / mit sampt allen vnreinen Geystern.‘ “
„Dieses Zitat ist frei erfunden“, sagt der Leipziger Kulturhistoriker Rayk Wieland, der seit vierzehn Jahren an einer Doppelbiografie des Alchemisten Paracelsus und der bekannten deutschen Musikgruppe Die Amigos arbeitet. „Für Paracelsus haben Regenbögen etwas Heiliges verkörpert. Das verbindet ihn übrigens mit den Amigos, die in ihrem Schlager ‚Hinterm Regenbogen‘ singen: ‚Hinterm Regenbogen werden wir uns wiedersehen, / irgendwo, irgendwann, / mein Herz glaubt fest daran. / Hinterm Regenbogen / wird es für uns dann weitergehen, / denn irgendwo im hellen Licht, / da wartest du auf mich …‘ Daraus spricht die gleiche Heilserwartung, deren Sinnbild für Paracelsus der Regenbogen gewesen ist. Wenn die AfD nach echten Regenbogenkritikern sucht, sollte sie sich lieber mal in den schriftlichen Hinterlassenschaften der Azteken umsehen!“
Die Azteken sahen in Regenbögen allerlei diabolische Trugbilder
Tatsächlich scheinen zahlreiche Hieroglyphen darauf hinzudeuten, dass die Azteken in Regenbögen diabolische Trugbilder sahen, deren Anblick jeden Betrachter unfruchtbar machte. Darauf hat sich auch Orbán in seiner jüngsten Parlamentsrede berufen. Scharf entgegengetreten ist er anschließend dem verbreiteten Aberglauben, dass an jedem Ende eines Regenbogens ein Topf mit Gold stehe. In Wirklichkeit, so Orbán, handele es sich hierbei um Töpfe mit brodelnder Krötengallenflüssigkeit, deren Genuss tödlich sei. Und dann hat er die schädlichen Auswirkungen von Regenbögen aufgezählt: Hagelschauer, Missernten, Überschwemmungen, Hitzewellen, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Schweinepest, Heuschreckenplagen, Inflation und Syphilis.
Einem Expertenteam des ungarischen Gesundheitsministerium ist es unterdessen gelungen, im Süden der Stadt Székesfehérvár in Mitteltransdanubien einen Regenbogen einzufangen und ihn in einem Chemielabor in seine Bestandteile zu zerlegen. Die Analyse soll ergeben haben, dass er sich zu 80 Prozent aus karzinogenen Substanzen wie Arsensäure, Asbest und Bleichromat zusammensetzt. Ist also doch was dran an Orbáns Regenbogenbashing?
Dann wäre es nur gerecht, dass der Feinkosthändler Szebasztián Habakusz gestern vom Hauptstädtischen Landgericht in Budapest zu einer Geldbuße in Höhe von umgerechnet einer Milliarde Euro verurteilt worden ist, weil er eine Regenbogenforelle verkauft hat.
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