Die Wahrheit: Futter für Fabelwesen
Der Parteitroll verbreitet Angst und Scham unter seinen Parteifreunden und genießt es, nach dem Vorbild Thilo Sarrazins den Dissidenten zu geben.
Ein sonderbares Wesen zieht immer öfter die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich: der Parteitroll. Es ist ein Geschöpf, das für Begeisterung bei Journalistinnen und Journalisten sorgt, für Qual, Ärger und Verzweiflung hingegen bei den Parteifreunden, die mit dem Troll in ihren Reihen leben müssen.
Für politische Parteien ist der Parteitroll ungefähr das, was für Familien der durchgeknallte Onkel ist. Er blamiert mit viel zu lauten Reden bei Hochzeiten und Beerdigungen zuverlässig die gesamte Verwandtschaft. Er kann es nicht lassen, in aller Öffentlichkeit seine Meinung über die Türken, alleinstehende Mütter und den Klimawandel kundzutun. Nach dem zwölften Bier ist nicht mehr nur sein Mund lose, auch seine Hände sind nicht mehr unter Kontrolle zu bringen. Kellnerinnen und Enkelinnen fliehen kreischend. Keine Ermahnung kann ihn bremsen, es macht ihm einfach zu viel Spaß, den Eber rauszulassen und währenddessen Angst und Scham in den Gesichtern seiner Nächsten zittern zu sehen. Er hasst diese ganze Mischpoke, aber braucht sie doch zugleich zum Leben, denn niemand würde sich freiwillig mit ihm abgeben. Seine Schwestern und Brüder, Nichten und Neffen sind wehrlos, denn es ist kaum möglich, jemanden aus einer Familie zu werfen.
Auch der Rauswurf aus einer Partei ist schwierig. Das macht sich der Parteitroll dreist zunutze. Man muss ihm parteischädigendes Verhalten nachweisen, was gar nicht so einfach ist, schädigt doch das Verhalten sehr vieler Politiker das Ansehen ihrer eigenen Partei, ohne dass man sie verjagte. Ein klarer Ausschlussgrund ist die offene Werbung für die politische Konkurrenz, aber der Parteitroll ist natürlich nicht so dumm, sich dieses Vergehen nachweisen zu lassen. Warum bleibt er überhaupt in einem Verein, den er eigentlich hasst? Warum verlässt er ihn nicht freiwillig?
Es geht ihm wie dem bösen Onkel: Ohne die Partei wäre er bald schon nichts mehr. Journalisten lieben Querdenker, Störenfriede und Außenseiter. Sie schenken dem Partei-troll die Aufmerksamkeit, von der er Seele und Körper nährt. Aber nur solange er in der Partei bleibt und unverdrossen behauptet, er verkörpere ihr wahres Wesen, während er das Gegenteil des Parteiprogramms verkündet, ist sein Krawall für die Medien interessant. In der Partei ist er der Geisterfahrer, auf den alle erschrocken starren. Außerhalb der Partei wäre er nur noch der einsame Spinner, der nachts allein Runden auf dem Supermarktparkplatz dreht.
Rechter Wutrentner
Inzwischen hat fast jede Partei ihren eigenen Troll. Das Vorbild von Thilo Sarrazin, der die SPD jahrzehntelang zur Verzweiflung trieb, war nur zu verlockend. Sich selbst zum Dissidenten erklären und dabei noch ein paar Millionen verdienen – wem könnte es davor grausen? Seit Sarrazin offiziell kein Sozialdemokrat mehr ist, sondern nur noch einer von vielen rechten Wutrentnern, ist es merklich stiller um ihn geworden.
Gleiches könnte nun Boris Palmer drohen, den die Grünen ausschließen möchten, nachdem er einmal mehr rassistische Sprüche klopfte. Der Tübinger Oberbürgermeister, der zwanghaft das Querulantentum seines Hippie-Vaters auf rechts gedreht nachspielt, hat nach Meinung der Parteispitze zu lange mit plumpen Provokationen auf Kosten der Partei gelebt. Palmer wäre nicht Palmer, wenn er nicht auch noch das Ausschlussverfahren als schöne Möglichkeit zur Selbstdarstellung begrüßt hätte.
Dass der Parteitroll nicht männlich sein muss, beweist seit Jahren Sahra Wagenknecht. Sie hat dem Linkssein eine neue Definition gegeben: Deutscher Arbeiter, der tüchtige deutsche Unternehmer ist dein Freund, dein Konkurrent hingegen der Ausländer! Für ihren solidarischen Patriotismus erntet Wagenknecht Applaus sogar von Björn Höcke. Da wird vielen ihrer Genossinnen und Genossen mulmig zumute. Wagenknecht muss das nicht kümmern, sie betreibt inzwischen ein Eine-Frau-Unternehmen, das aus dem Mediengetöse mittels Talkshow, Buchvertrag und Youtube-Kanal ordentlich Profit destilliert.
Linksradikale Sozialdemokraten
Noch nicht so rund läuft es bei Hans-Georg Maaßen, der seinen ersten Ruhm im Kampf gegen die christdemokratische Bundeskanzlerin erwarb. Um im Gespräch zu bleiben, muss er sich irgendwo in der thüringischen Tundra um ein CDU-Mandat bewerben und Mitgefühl für besorgte Ossis heucheln. So richtig warm wird mit ihm aber niemand, was womöglich daran liegt, dass dem ehemaligen Chef des Verfassungsschutzes, der „linksradikale Kräfte“ in der SPD entdeckte, der Irrsinn doch etwas zu deutlich aus den Äuglein leuchtet. Wer mag als Nächstes auf den Plan treten? Mit allem ist zu rechnen. Es kann gut sein, dass in Kürze Andreas Scheuer verkündet, er als Christsozialer sei der Meinung, die globale Gerechtigkeit könne nur durch eine proletarische Revolution verwirklicht werden.
Warum aber versetzen die Trolle ihre Parteien in Panik? Warum lassen sich die Eigenbrötler nicht totschweigen, warum kann man sie nicht an den Rand drängen? Es ist das dunkle Geheimnis dieser Fabelwesen: Der Troll spricht eine Wahrheit über seine Partei aus, die diese verschweigen will. Er verkörpert ihr Wesen oft ehrlicher als die glänzenden Aushängeschilder.
Schon Sigmar Gabriel musste zugeben, viele, viele der einfachen Genossen schrieben ihm, Thilo Sarrazin habe doch recht mit der These, die Armen seien halt nun einmal genetisch minderwertig. Boris Palmer spricht mit dem Bekenntnis, gern ein „Spießer“ zu sein, nicht wenigen in seiner Partei der Besserverdienenden aus der Seele. Sahra Wagenknechts überbordender Volksgemeinschaftskitsch wärmt wirklich auch so gar manches Herz, das links schlägt. Und Hans-Georg Maaßen sagt zur großen Freude der ostdeutschen Dorf-Cowboys endlich wieder das, was in der CDU jederzeit zu hören war, als sie noch einen kruppharten Stahlhelm-Flügel besaß.
Ärgern wir uns also nicht mehr darüber, dass die Trolle gefüttert werden! Zu sehen, wie sie ihre eigenen Parteien bloßstellen, ist ein unbezahlbarer Genuss.
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