Die Wahrheit: Herabschauende Hunde
Eine neu gegründete politische Partei verbreitet in Deutschland Angst und Schrecken: Es ist die Partei des Grauens (PdG).
Es ist nicht mehr wegzudiskutieren: Nervosität, ja sogar blanke Angst herrscht in Deutschlands Parteizentralen von der AfD bis zur Linken. Selbst die Freien Wähler zittern. Eben noch hatten sich die Parteistrategen unisono auf einen pseudospannenden Bundestagswahlkampf gefreut, dessen Langeweilefaktor direkt mit der Halbgarheit des zur Wahl stehenden Spitzenpersonals korrelieren würde.
Doch wie aus heiterem Himmel flattert dieser Tage plötzlich durch die Hauptstadt ein neues und unbekanntes Objekt. Es sorgt für immense Aufregung und könnte das politische System der Bundesrepublik binnen weniger Tage auf den Kopf stellen: Die Partei des Grauens (PdG) schickt sich an, die Bundesrepublik zu erobern.
Wer den Anstoß dazu gegeben hat, das lassen die Parteigründerinnen und -gründer im Dunkeln; man wolle „nicht auseinanderdividiert und einzeln an den Pranger gestellt werden“, heißt es seitens der PdG. Die wie gewohnt blitzschnell zu analytischer Höchstform auflaufenden Hauptstadtjournalisten orakeln, die Initiative sei von „Babylon-Berlin“-Star Volker Bruch ausgegangen, dem die winzige Basis-Partei dann doch zu unbedeutend gewesen sei für seine Ambitionen beim Querdenken. Andere vermuten, Sahra Wagenknecht sei die treibende Kraft bei der PdG. Weil sie zwar Austern entschieden ablehne, aber für ihr Leben gern Hummer verspeise, wäre sie innerhalb der Linkspartei klassistisch diskriminiert worden, was ihren Lebensstil auf Dauer zu sehr in Frage gestellt habe.
Kaum hat die PdG ihre Gründung in einem knappen Manifest bekannt gegeben, kann sie sich vor Zulauf kaum retten. Binnen weniger Tage wird der verblüfften Öffentlichkeit ein illustres Personal präsentiert, das bislang sonstwo die Sonderstimme erhoben hatte und nun erbittert um Posten in einem möglichen Schattenkabinett rangelt.
Tübinger Twitterkönig
Als Innenminister bewirbt sich der Tübinger Twitterkönig Boris Palmer, ein Tausendsassa, der in Sachen Corona-Eugenik genauso bewandert ist wie bei der Vermessung von People-of-Color-Penissen. Der Ex-Grüne muss sich allerdings gegen harte Konkurrenz durchsetzen: Vera Lengsfeld, auch sie eine Dissidentin der Grünen, liebäugelt ebenfalls mit dem Innenministerium. „Bei gleicher oder schlechterer Qualifikation entscheiden wir uns immer für den Mann“, heißt es dazu seitens der PdG. „Für Quotenregelungen und anderen Genderwahnsinn sind wir nicht zu haben.“
Eine Maxime, die auch Dieter Dehm, ehemals Linkspartei, für sich reklamiert, als er sich nach seiner Rückkehr aus Russland, wo er sich kameragerecht mit dem russischen Vakzin Sputnik V hat impfen lassen, bei der Nominierung für das Auswärtige Amt gegen Freitag-Boss Jakob Augstein durchsetzt. Augstein war zum Verhängnis geworden, beim Israel-Bashen deutlich intellektueller vorgegangen zu sein als der Gefühlsmensch Dehm. Dem verdankt die Welt bislang vor allem Songzeilen wie „Ali, Kümmeltürke, dich stell’n wir ans Montageband, Ali, Kümmeltürke, zu andrer Arbeit fehlt’s dir an Verstand“. Selbstverständlich sind sie ironisch gemeint, was ihn jedoch in besonderem Maße für die PdG qualifiziert.
Weil im Gründungsaufruf der PdG ausdrücklich die Rede davon ist, man wolle nicht links oder rechts sein, sondern vorn, fühlen sich auch Konservative angesprochen, die auf der Suche nach einer neuen parteipolitischen Heimat sind. Ins Wirtschaftsministerium drängt es Oswald Metzger, den Star-Publizisten von Tichys Einblick, dem zunächst gute Chancen eingeräumt wurden, weil er als ehemaliges Mitglied der SPD, der Grünen und der CDU reichlich Erfahrung vorweisen kann bei parteipolitischen Achterbahnfahrten. Doch gegen Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg, bei dem schon der Name Programm ist, hat Metzger keine Chance. Vervollständigt wird das schattige Personaltableau durch Peter Gauweiler, der durch seine anwaltliche Tätigkeit für das #MeToo-Opfer Dieter Wedel am Justizressort Geschmack gefunden hat.
Besonders umkämpft bei der PdG ist das Gesundheitsministerium, um das Michael Wendler, Jan Josef Liefers und Dieter Nuhr ringen, als ginge es um Leben und Tod. Da niemand von ihnen klein beigeben will, wurde eine salomonische Lösung gefunden: Eindeutig am schlechtesten dafür qualifiziert sei Juli Zeh – auch wenn sie eine Frau sei. Elder Statesman Gerhard Schröder hat ebenfalls ohne Zögern zugesagt, als die PdG ihm die Kanzlerkandidatur antrug. Das Juckpulver aus Hagebutten laste ihn im Ruhestand sowieso nicht voll aus. „Und der Wladimir hat mich lange nicht mehr zum Angeln eingeladen“, begründete Schröder in Bunte, warum er es noch einmal wissen wolle.
Grundfalsch vom Feinsten
In Umfragen ist die PdG kürzlich sofort auf satte 28 Prozent geschnellt. Selbst routinierte politische Beobachter sind ratlos: Was bloß ist das Erfolgsrezept? Das liefert der erfahrene Spin Doctor Jürgen Elsässer: „Alles, was wir behaupten und fordern, ist so grundfalsch, dass noch nicht einmal das Gegenteil davon richtig ist.“ Elsässer, dessen rechtes Compact-Magazin zuletzt nicht mehr ganz so gut lief, weil die Konkurrenz bis weit in die Mainstream-Medien zu groß geworden war, ergänzt diesen Leitsatz um eine alte Devise, die pfeilgerade ins Herz des deutschen Bewusstseins trifft: „Hauptsache, es geht gegen den Juden.“ Für Elsässer soll sein neues Betätigungsfeld in der PdG der krönende Abschluss seiner Laufbahn werden.
Doch halt! Während die versammelte Elite der Sonderpolitiker bereits einen inneren Reichsparteitag feierte und die Parteienkonkurrenz zitterte, bahnte sich am Wochenende Unheil an für die PdG. Ein echter Parteitag! Schluck! In einer wirklichen Stadt: Bietigheim-Bissingen. Mit einem epochalen Flügelkampf. Zwischen Bietigheimern und Bissingern, wie die Realos und Fundamentalisten parteiintern genannt wurden. Der Geburtsfehler der PdG ist offensichtlich, sich als alternative Basisinitiative inszeniert zu haben. Prompt fühlten sich Impfgegner, Homöopathen, vegane Köche und andere Erleuchtete aufgerufen, den Parteitag für ein Bekenntnis zur Parteilosigkeit zu gewinnen. „Parteien sind Schall und Rauch“, lautete das Motto des fundamentalistischen Flügels.
Und so ist die Partei des Grauens schon am ersten Parteitag gescheitert an der Frage, mit welcher Yogaübung begonnen werden soll: „Ist es der herabschauende Hund“ oder „Die Haltung der Umkehr“? Kein Wunder, dass die Partei an den knackenden Knochen der meist älteren Damen und Herren in sich zusammenkrachte. Eine Implosion, die weit bis nach Berlin zu hören gewesen ist.
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