Die Wahrheit: Mehr Mimimi mit Rücken
Könnte schmerzhaft werden: Die Berufskrankheit Nr. 1 bei Schreibtischhengsten hat auch unseren Kolumnisten hinweggerafft. Was hilft?
Können Sie kurz so bleiben, das muss ich den Kollegen zeigen“, sagt der Physiotherapeut, bei dem ich meinen Bandscheibenvorfall wegturnen soll.
„Klar, kann ich“, presse ich hervor. Ich kann nicht nur, ich muss sogar, denn ich habe mich versehentlich in eine höchstwahrscheinlich irreversible Körperhaltung begeben. Sie ist sehr schwer zu beschreiben. Irgendetwas zwischen Hocken, Kopfstand und Halbnelson, verquickt mit Yogaposen wie dem herabschauenden Hund oder dem gedemütigten Nilpferd. Ohne fremde Hilfe werde ich jedenfalls nicht wieder hochkommen, zumal ich mich linksbeinig in einer Sprossenwand verflochten habe.
Mittlerweile ist die gesamte Praxis zusammengetrommelt und steht um mich herum.
„Ist das sein Rücken?“, fragt jemand und tippt an meine Hüfte. „Wie hat er denn das geschafft?“, will jemand anderes wissen. Das wüsste ich selber gern. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass dieser sehr junge Typ ohne eine Gramm Körperfett hereinstolziert kam und sich als mein neuer Physiotherapeut vorgestellt hat. Dann hat er mich angeschaut und herablassend gesagt: „Na, dann wollen wir mal gucken, was Sie in Ihrem Alter überhaupt noch an Bewegungsfähigkeit haben!“
Kompetitiv
Es kann sein, dass ich in dieser Situation ein klein wenig kompetitiv reagiert habe.
Beim nächsten Mal übernimmt wieder meine angestammte Therapeutin. „Heute stärken wir Ihre Tiefenmuskulatur“, meint sie.
„Och, ich hätte aber lieber Höhenmuskulatur“, antworte ich. „So Bizepshuckel halt.“ Sie verdreht die Augen und reicht mir winzige Hantelchen. Ich lache sehr männlich.
Das könnte schmerzhaft werden
Mit diesen albernen Hanteln soll ich ein paar Übungen für weniger beanspruchte Muskelgruppen machen. Ich lasse mir natürlich schwerere geben.
„Das könnte aber etwas schmerzhaft werden!“, sagt die Physiotherapeutin, und ich lache noch einmal, jetzt sehr, sehr männlich.
Am nächsten Morgen bin ich gelähmt. Ich habe Muskelkater an Stellen, die streng genommen nicht als Körperstellen gelten können, weil sie sich nicht im selben Raum befinden wie mein Körper. Es ist mehr so ein kosmisches Aua. Eine Woche später kann ich wieder aufstehen und nehme meinen nächsten Krankengymnastiktermin wahr.
Sie haben Tiefenmuskulatur
Die Therapeutinnen und Therapeuten betrachte ich jetzt mit anderen Augen. Sie alle haben Tiefenmuskulatur. Man sieht sie nicht, man braucht sie nicht, aber es tut furchtbar weh, welche zu kriegen. Ihre Ausbildung bedeutet spirituelle Übung, bei der man keinen weltlichen Lohn erwarten darf, bloß endlosen, bohrenden Schmerz.
Demütig empfange ich von der Gymnastin das allerkleinste Hantelchen. Ich bin nur ein unwissender Novize und der Weg zur Erleuchtung der muskulären Tiefe ist steinig und voller Pein. Sobald die Therapeutin einen Moment nicht hinschaut, schummele ich bei den Übungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren