Die Wahrheit: Auf diese Kunst können Sie zählen
Klaus Botelius wird am Freitag 50. Die Wahrheit würdigt den wohl wichtigsten Zahlenkünstler der Welt und unserer Zeit.
Er war und ist immer aus der Zeit gefallen – und auch wieder nicht. Ein neues Jahr nicht etwa Punkt null Uhr zu begrüßen, darauf bestand der gebürtige Friese Klaus Botelius bereits in seinen frühen Jahren. Schließlich gäbe es keinen nullten Nullten, sehr wohl aber einen ersten Ersten, weshalb die Familie Botelius Silvester nur mit einem einzigen um 1.01 Uhr in den Himmel gefeuerten Schuss beging.
„Eine verfrüht oder verzögert ins neue Jahr gestartete Rakete konnte nichts Gutes heißen“, sagt Botelius heute im Gespräch mit der Wahrheit. „Da bin ich dann halt lieber im Bett geblieben.“ Das war 1977. Ursprünglich wollte er ein ganzes Jahr liegen bleiben. Sein Werkverzeichnis führt diesen „Boykott des Jahres“ heute als des Künstlers allererste Performance auf. Kurz vor seinem siebten Geburtstag beendete er am 7. Juli seine Bettlägerigkeit um Punkt 7.07 Uhr.
Klaus Botelius spricht länger schon und stets leidenschaftlich von der „Magie des numerokosmischen Gleichgewichts“. Diese versucht er durch das Zusammenbringen möglichst vieler gleicher Zahlen zu erreichen. „Früher wurde bei uns am Wohnzimmertisch Kniffel gespielt“, erinnert er sich mit Abscheu. „Gewonnen habe ich nie.“ Aufgrund seines ausgeprägten numerischen Stils kam es für ihn nicht infrage, aufeinanderfolgende Zahlenreihen auszuspielen. „Große oder Kleine Straße?“ Er schüttelt den Kopf. „Ein echtes No-Go!“
Einen immer größeren Bekanntheitsgrad erreichte Botelius mit seinen exkursiven Performances. Dabei galt und gilt es, Datum und Ankunfts- oder Startzeit miteinander in Einklang zu bringen, also etwa an einem 21. 11. um 21.11 Uhr zu starten oder das Ziel zu erreichen. Dass beides nicht gleichzeitig geht, schmerzt Botelius sehr. Vergeblich korrespondierte er darüber jahrelang mit dem mittlerweile verstorbenen Physikstar Stephen Hawking.
Stahlblaue Augen auf Ziffern
Ein Langzeitprojekt des gebürtigen Friesen mit den stahlblauen Augen ist eine Bahnfahrt, bei der er, Botelius, 21-mal jeweils 11 Minuten in einem Zug sitzt, immer auf Platz 21 in Wagen 11. „Eines Tages wird mir auch das gelingen“, sagt der Künstler, und seine stahlblauen Augen leuchten. „Vielleicht nicht bei der Deutschen Bahn, aber …“ Er verweist auf die Kursbücher der japanischen Staatsbahn und der Schweizerischen Bundesbahnen.
Unvergessen ist seine legendäre Viererfahrt. Er und drei Begleiter fuhren am 4. 4. 2004 in einem 44 Jahre alten Renault 4 viermal um den Vierwaldstättersee. Der Wagen steht heute im Museum of Modern Art in New York.
In der Kunstwelt anzukommen, das war allerdings nicht leicht für Klaus Botelius. Immer wieder geriet seine Arbeit in die Kritik. So auch sein Frühwerk „Große Acht“. Am 8. 8. 88 brach er um exakt 8.08 Uhr auf, um acht Kilometer mit dem Rad zu fahren. Startpunkt war das Dörfchen Achtum bei Hildesheim, Ziel der Ort Marienburg, wo niemand mit seiner Ankunft rechnete. „Dass ich damals nicht beachtet wurde, hat das Kunstwerk erst rund gemacht“, schmunzelt Botelius. „Eine unbeachtsichtigte Acht in einem der Räder hätte es auch getan.“
Auf den Einwand, sich dabei rechtsradikaler Zahlencodes bedient zu haben, reagiert Botelius ausweichend. „Die Nazis hatten doch überhaupt keine Ahnung von Zahlen. Wenn man schon den Zweiten Weltkrieg anzettelt, dann doch bitte nicht an einem 1. 9. 1939 um 4.45 Uhr! Wie sieht denn das aus?“
Das Werk des Klaus Botelius aus Schortens im Landkreis Friesland, es besteht nicht ausschließlich aus Entfernungen. Dennoch gilt „99 Kilometer“, seine Fahrt in einem Neunspänner am 9. 9. 1999, als seine bedeutendste Arbeit.
Beeindruckend auch seine Kassenzettelsammlung, die im vergangenen Jahr erstmals vollständig im Pariser Centre Pompidou zu sehen war. Immer wieder verblüfft es den Betrachter, mit welchen Warenzusammenstellungen Botelius eine Summe erreicht, die mit Datum und Uhrzeit korrespondiert, manchmal sogar mit der Kassennummer, der Bonnummer, mitunter zudem mit Hausnummer, Postleitzahl oder Telefonanschluss des Geschäfts. Das regt zum Nachdenken an und ist oft erheiternd.
Kürzlich versteigerte Christie’s die Arbeit „Eleven Times Twenty-one Grams“ (zu deutsch in etwa „11-mal 21 Gramm“), einen Kassenbon des Londoner Nobelkaufhauses Harrods. Botelius hatte dafür am 21. 11. 2002 um 11.21 Uhr für genau 21,11 Pfund verschiedene Lebensmittel à 21 Gramm erworben. Unter den Hammer kam das Werk für eine deutlich höhere Summe. Der unbekannte Sammler zahlte etwas mehr als 16 Millionen Pfund. „Mir wäre es lieber gewesen, er hätte den Zuschlag bei 11.000.021 Pfund bekommen“, gibt sich Botelius bescheiden. „Mir geht es um mein Gesamtkunstwerk. Daran arbeite ich immerfort.“
Scheitern mit Pfandflaschen
Bei so viel Akribie ist Scheitern inbegriffen. So versuchte Botelius vergeblich, am 11. 11. 2011 um 11.11 Uhr in einem Kölner Supermarkt Pfandflaschen abzugeben, die 11,11 Euro wert waren. „Ärgerlich, der Automat war voll!“, schimpft der Friese. „Und unmöglich, einen Mitarbeiter zu finden, der ihn leerte. Die feierten gerade alle!“
Botelius hat das Projekt weiterentwickelt. Er arbeitet an der Serie „Unterm Strich null Komma nix“. Dafür kauft er – selbstverständlich nur bei passenden Preisen – in einem Geschäft für die gleiche Summe ein, die ihm für abgegebene Flaschen gutgeschrieben wird, sodass er möglichst lange Kassenbons erhält, deren Summen nur aus Nullen bestehen.
Unglücklicherweise wurde Botelius durch die coronabedingte Mehrwertsteuersenkung auf dem falschen Fuß erwischt. „Das war ein Schock!“, sagt er zum Abschied. „Die haben ja schon vor dem 1. Juli ihre Preise gesenkt. Auf dem Bon stand dann eine absolut krumme Summe – im Minusbereich! Ich hasse negative Zahlen.“
Dessen ungeachtet plant Klaus Botelius bereits ein neues, ein großes Zahlenwerk. Er ist und bleibt unterm Strich ein Künstler, mit dem wir rechnen müssen.
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