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Die WahrheitJubelkasper aus dem Rechner

Die erste Bilanz der Geisterspiele im Fußball fällt durchweg positiv aus. Jetzt soll das Experiment weiter verfeinert werden.

Die Pappfans können bald auch jubeln, fluchen und sogar singen Foto: Marin Meissner/dpa

Zahlen lügen nicht. Die Geisterspiele der Bundesliga sorgen für deutlich schöneren Fußball. Es gibt weniger und kürzere Spielunterbrechungen und dadurch mehr Spielfluss, weniger Verletzte, bessere Schiedsrichterleistungen, keine blöden Pfeifkonzerte, keine Fadenkreuz-Transparente, keine rassistischen Pöbeleien, keine Böller und Bengalos, keine karnevalswagenhaften Choreografien, und viel weniger Prügeleien. Wir sehen weniger Schauspieleinlagen für die Galerie. Dass sich ein gefoulter Spieler 17-mal überschlägt wie einst Neymar – vorbei! Wir erleben entspanntere Spiele, Fußball als reines Augenglück, mehr Grün fürs Auge, ohne das Gebrüll aufgeputschter, alkoholisierter Massen.

Bei näherem Hinsehen offenbaren sich weitere Pluspunkte. In der Ersten und Zweiten Bundesliga wurden in der Saison 2018/19 mehr als neun Millionen Einwegbecher verbraucht. Übereinandergestapelt ist das ein 1,8 Kilometer hohes Plastikgebirge, das entspricht sechs Eiffeltürmen oder 18 hochkant übereinandergestapelten Fußballplätzen oder Saarland vom Fesselballon aus betrachtet. Überhaupt der Verkehr: 400.000 Fans reisen normalerweise an jedem Spieltag an, verstopfen Straßen, blasen toxische Gase in die Luft, erhöhen den Nitratwert in Stadionnähe. Und der Lärm: Anwohner von Fußballstadien leiden signifikant häufiger an lärmbedingten Krankheiten von Tinnitus bis Herzinfarkt. Und die Polizei hat frei! 300.000 Euro kostet ein mittelgroßer Polizeieinsatz, um Kloppereien von Ultras, Hooligans und Krawallniks zu verhindern.

Und doch: Wo bleibt die Stadionatmosphäre? Das Aufstellen von 13.000 Pappkameraden in Mönchengladbach hat es gezeigt: Die Jubelkasper sind leicht zu ersetzen. Jetzt hat das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) Fußballbots auf PVC-Basis konstruiert. Die Plastikfans erbringen nicht nur täuschend echte und gut hörbare Artikulationsleistungen, sie reagieren – sensorengestützt – auch in Echtzeit aufs Spielgeschehen. Den Forschern kommt dabei entgegen, dass der Wortschatz von Fußballfans wenig ausgeprägt ist: 477 Wörter werden im Schnitt beherrscht, von denen wiederum 41,3 Prozent der Fäkalsprache entliehen sind.

Ökobewusste Schiedsrichterbewertungen

Schiedsrichterleistungen werden von den PVC-Fans schnell und authentisch bewertet. Dazu stehen zwei Varianten zur Verfügung: „Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht“ und die ökobewusste Version: „… von wo deine U-Bahn geht“ sowie die prägnante Kurzformel „Schiri, du Arschloch!“ Durch hohe Rechnerleistungen mit entsprechender Konnektivität sind abgestimmte Zurufe auch im Chor möglich, ebenso wie La-Ola-Wellen, Buhrufe oder Pfeifkonzerte. Deren Frequenzgang kann zuhörerfreundlich justiert werden.

Klassische Fangesänge sind bereits einprogrammiert, können aber von den Vereinen angepasst werden. Vorgegeben sind: „Schalalalalalalla“, „Olé, olé, olé, olé!!“, „Du bist der beste Mann!“, „Wir woll’n euch kämpfen seh’n!“ und „So ein Tag, so wunderschön wie heute!“. Bei Pokalspielen darf selbstverständlich das traditionelle Lied „Wir fahr’n nach Berlin!“ nicht fehlen. Andere Gesänge und Schlachtrufe sind vereins- und spieltagspezifisch mit wenigen Klicks abrufbar. Der Fraunhofer-Prototyp beherrscht unter anderem: „Mer stonn zo dir, FC Kölle!“, „Zieht den Bayern die Lederhosen aus!“ und Schalke 04, die Scheiße vom Revier!“.

Fanbots in Vereinsfarben

Das Raunen bei Fehlschüssen, Torschrei und Torjubel oder einfaches Applaudieren bei Torwartparaden sind in der Software enthalten. Das Outfit der Fanbots wird auf die Vereinsfarben abgestimmt oder textilfrei gestaltet mit übertätowiertem Oberkörper. Dazu ein leicht glasig-rotäugiger Blick. Fahnenschwenker, Trommler und Einpeitscher wird es allerdings erst ab der nächsten Spielzeit geben.

Problematisch ist allenfalls die gendergerechte Gestaltung. Gegenwärtig sind drei von zehn Fußballfans weiblich, doch ihr Anteil wächst. „Wir wollen die Frauen nicht ins Abseits stellen“, heißt es im Fraunhofer-Institut, das sich für ein Geschlechterverhältnis von 6,1 zu 3,9 entschieden hat.

Die Fraunhofer-Modelle beeindrucken auch den DFB. Dort wächst die Zustimmung für eine Verlängerung der Geisterspielzeit über Corona hinaus. Die Vereine hätten keine finanziellen Nachteile, zumal die eingesparten Kosten für Polizeieinsätze, Müllbeseitigung, Krankenhausaufenthalte sowie eine Klimaprämie der Bundesregierung direkt an sie ausgeschüttet werden. Proteste kommen nur von den Brauereien: An jedem Spieltag trinken 400.000 Fußballfans 4 Millionen Liter Bier in den Stadien. Hier könnte ein Hilfspaket der Regierung mit Mehrwertsteuerbefreiung entlastend wirken.

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