Die Wahrheit: Fischsuppe für Giganten
Ein Displaybruch ist kein Beinbruch, und doch erfordert er den Gang zum Telefonreparaturladen. Am Ende hilft aber nur höhere Physik.
A n einem Tag zwischen Jeff Bridges’ 70. Geburtstag und dem 70. von Tom Waits rutschte mein simples Mobiltelefon so ungünstig vom Schreibtisch, dass der gläserne Bildschirm barst. Nicht vollständig, sondern unten rechts zu etwa einem Achtel, aber immerhin.
Was ich mit meinem Egosmart anzustellen pflege, funktionierte jedoch weiterhin. Und zum Glück habe ich zwei Söhne, die ihre Mobiles samt zersprungenem Display über eine möglichst lange Zeit benutzten. Sie gingen damit lässig um, so mein Eindruck.
Ich befürchte gerade, Sie wenden sich gähnend ab von dieser trivialen Geschichte, oder um es mit dem Dichter Christoph Martin Wieland zu sagen, der 70-jährig in einem Brief schrieb: „Aber ich merke allmählich, daß ich mich zu dem Laster aller Greise hinreißen lasse, und daß es gut ist, Sie von meinem Geschwätz zu befreien.“
Da ich aber doch noch entfernt vom Alter der drei 70-jährigen Giganten bin, füge ich der Handy-Anekdote einen eigenen Schluss hinzu. Mein Besuch bei dem Laden, der sich repairexpress nennt, ergab einen erhellenden Dialog.
Is' teuer
Herr El-Chatei erkundigt sich: „Sind Sie bei WhatsApp?“ Dass er diese Frage stellt, wundert mich. Sind denn da nicht alle außer mir? Ich sage wahrheitsgemäß: „Nein“. – „Dann wird es eine ganze Weile halten.“ Die Reparatur werde zwischen 60 und 80 Euro kosten, weil Motorola es so blöd oder so schlau konstruiert hat. Dafür kriegt man fast so ein Ding, wie ich es besitze. „Überlegen Sie es sich.“
Ein Mensch ohne die seit zehn Jahren funkende WhatsApp ist bekanntlich nur ein halber Mensch, was die längst üblichen Sozialkontakte betrifft. Zum Glück haben meine Söhne die Schulzeit hinter sich gelassen. Heute wäre ich ohne App als Elternteil in der Schule nicht vorhanden, ein Rabenvater.
Und auch im Freundes- und Bekanntenkreis gelte ich vermutlich als Kauz oder Sonderling, bestenfalls. Andererseits muss ich nicht darüber klagen, mit welchem Stress diese Art von Anschlüssen einhergehen. Und ich vermute, dass meine Daten deutlich weniger in der digitalen Wolke zirkulieren.
Spotify Your Life
Die Zauberworte für WhatsApp und Co sind Bequemlichkeit und Komfort. Erst recht für Amazon-Dienste oder Smart-Home-Errungenschaften. Irrwege. Mir reicht es aus, die Heizung selbst aufzudrehen. Ich verstehe diesen Umgang mit der digitalen Welt weder als Prinzip, noch gehöre ich zu den „Entschleunigungs-“ oder „Simplify“-Ideologen. Sondern in vieler Hinsicht fehlt mir das Netz schlicht nicht.
Was mir beispielsweise fehlt – um noch eine Wendung zu nehmen –, ist das Wissen um die drei thermodynamischen Hauptsätze, wie mir neulich aufgefallen ist. Aber den zweiten Satz zur Entropie, zum Maß der Unordnung, hat mir jemand vor Kurzem erklärt: „Aus einem Aquarium mit schönen Fischen kann Fischsuppe werden, aber aus einer Fischsuppe wird nie ein Aquarium.“ Damit kann ich etwas anfangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?