Die Wahrheit: Spitzweg im Kreativmilieu
Als Autor hat man mehr mit dem Biedermeier zu tun, als man glaubt. Besonders wenn man in einer Dachwohnung lebt.
E s scheint medial ruhiger geworden zu sein rund um das schwankende Wortfeld „Kultur-Prekariat“ und „Kreativmilieu“. Deshalb füge ich der Debatte etwas Brandaktuelles hinzu.
Bis mir die folgende Geschichte unterkam, verging eine peinliche Weile. Das kennt hoffentlich jeder und jede: Man greift sich an die Stirn, schüttelt den Kopf, weil man unfassbar lang brauchte für eine Verknüpfung zwischen zwei nächstliegenden Phänomenen. Dabei ist die Sache simpel: Meine Mansarde ähnelt zuweilen der des „armen Poeten“! Der Typ rechts hinten mit der Schlafmütze auf dem Bild von Carl Spitzweg! Der mit dem geflickten Regenschirm über seiner Matratze!
Spitzweg hat übrigens drei Varianten gemalt, eine wurde 1989 gestohlen und ist verschollen. Mindestens einer Version sind Sie schon irgendwann begegnet, denn es heißt, in diversen Umfragen hätten es „die Deutschen“ als ihr liebstes Bild auserwählt, nach Leonardo da Vincis „Mona Lisa“. Auf diese Umfragen verweisen praktisch alle Autoren, aber die Quelle lässt sich trotz Recherche nicht finden. Typisch. Und irgendwie egal.
Zweierlei verband Spitzweg und mich binnen weniger Tage. Zunächst waren in meiner Dachwohnung feuchte Flecken auf drei Seiten einer Innenwand nicht zu übersehen. Es stellte sich heraus, dass ein Schornstein marode geworden war.
Etwas später weckte mich eines Morgens um vier ein Lebewesen, das unweit des Bettes zwischen Wand und Dachschräge krabbelte oder kroch. Oder kratzte? Ich rang nach den passenden Worten, während ich an der Stelle laut auf den Dielenboden trat, damit das Lebewesen verschwand. Ohne ein Gurren zu hören, stellte ich mir eine Taube vor, weder eine Ratte, eine Maus oder einen Marder. Eine Brief- oder Friedenstaube? Eine Turteltaube gar? Typisch. Und egal.
Am nächsten Tag stieg ich die Stufen bis unter den Dachfirst hinauf und entdeckte an der Position der Geräusche eine Lücke, wo eine Schindel abgebrochen war. Bis heute hat mich die Taube oder wer auch immer in Ruhe gelassen.
Nun zurück in das sogenannte Kreativmilieu und zu Spitzweg. Dessen Kunstperiode nennt sich bekanntlich Biedermeier, heute ein Schlagwort mit dem Zusatz „digitales“ oder „Generation“, auch synonym für den Rückzug ins Private. Dem Klischee des armen Poeten wiederum begegnet man auch unter dem Begriff Boheme, die jetzt ebenfalls als digital firmiert. Nun könnten wir eine Weile über historische Ähnlichkeiten und Unterschiede disputieren.
Stattdessen stoße ich auf eine Bemerkung des Künstlers Spitzweg, der im obersten Stockwerk eines Hauses in der Münchner Altstadt wohnte: „Die Aussicht ist prächtig … ringsum eine unabsehbare Gebirgskette von Hausdächern, auf denen Kamine und Dachfenster wie Schlösser und Ruinen … prangen … und der Himmel so nah – es ist einzig.“
Zwar ohne Kamin, dafür mit Küche, Bad und einem zweiten Zimmer: Ich weiß, was er meint. Das ist ja auch nicht so schwer.
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