Die Wahrheit: Fucking Freitag
Zum Black Friday: Kaufrausch, Schlussverkauf und Konsumkritik waren gestern. Heute ist wieder schwarzer Ramschtag für Normalos.
Überhaupt sind es selbstverständlich auch Erwachsene, die sich von der Bewegung mitreißen lassen. Neu-Neuköllner Yuppies freuen sich, das dank den Black-Friday-Schnäppchen gesparte Geld in ihr Start-up stecken zu können; sogenannte Normies können mal eine zusätzliche Leasingrate für ihren Daihatsu Cuore überweisen; und die vielfach geschmähten, aber stets solventen Boomer halten das Konsumfest zwar für „kulturimperialistischen Firlefanz“, schlagen aber trotzdem gern zu, wenn es bei Dehner zwei Hollywoodschaukelauflagen zum Preis von einer gibt.
„Vielleicht ist dieser Tag das einzige Datum, das die gesamte Erste Welt generationenübergreifend verbindet und dabei noch die Wirtschaft ankurbelt“, analysiert BWL-Professor und Nestlé-Vorstandsmitglied Pjotr Altenfrohne mit Tränen in den Augen. „Das gesamte Ausmaß auf unsere Gesellschaft kann ich freilich nicht einschätzen, ich bin ja kein Soziologe, ich will schließlich Geld verdienen, haha!“
In Ländern wie Frankreich, Brasilien, Polen, aber auch in Deutschland haben die Black-Friday-Umsätze zuletzt sogar die des Weihnachtsgeschäfts übertroffen. Die Wurzeln dieses Feiertags – das demnächst sogar mit Jeff Bezos oder Friedrich Merz als Symbolfigur ein Pendant zu Santa Claus erhalten soll – liegen indes natürlich in den USA. Es war im Neuengland des Jahres 1639, als ein paar besonders umtriebige Pilgerväter den amerikanischen Ureinwohnern erstmals masernverseuchte Wolldecken für nur 19 statt 20 Biberpelze verkauften. Der auf einen einzigen Tag beschränkte Deal kam so gut an (wohl auch wegen der seitens der Kolonisten eingesetzten Gewehre), dass man bis zum Ende des Jahres durchgehend schwarze Zahlen schrieb – der Schwarze Freitag war geboren.
Beliebte Bäuche und Routinen
Das Farbattribut wird heutzutage von Land zu Land unterschiedlich interpretiert. In den Niederlanden begeht man den „Zwarte Vrijdag“, indem sich Einzelhandelskaufmänner und Marketenderinnen die Gesichter mit schwarzer Schuhcreme einreiben und ihre Waren in übertriebenem Pseudogettoslang anpreisen. Kritik von Antidiskriminierungsverbänden stößt auf taube Ohren.
„Het is heele maal een ur-oude Traditie“, rechtfertigt sich die Unternehmerin Frau Antje auf Anfrage, „wir haben die um die Jahr zweetausendzeven eingeführt, und de kinderen hebben eine Riesenspaß daran! Leuk!“
Beliebte Bräuche und eingeschliffene Routinen lassen sich schwerlich modifizieren. In Südafrika zumindest kann man eine Art Umdeutung beobachten: Manche Standorte haben dort für heute einen „Friday for Blacks“ ausgerufen: Nichtweiße Kunden brauchen beim Verlassen des Geschäfts nicht ihre kompletten Taschen auszuleeren, um zu beweisen, dass sie nichts gestohlen haben.
WSV im WWW
Und dann ist da freilich das Internet als inzwischen bedeutendster Player im Ramsch-Business. Jeder Onlinestore, von Amazon über Otto bis zu „Gudrun’s Makramee Eulen Lädchen“, veranstaltet einen sich oft über mehrere Wochen erstreckenden November-Sale. Mit ausgeklügelten psychologischen Tricks (Kauf auf Rechnung, durchgestrichene Ziffern, bunte Blinker) gelingt es den Shops, reihenweise Zahlungswillige aller Couleur zu ködern.
Und damit sind wir wieder bei der Jugend. Denn jene Mädchen und Jungen, die sich nicht am Sturm auf Primark & Co. beteiligt haben, sitzen seit den frühen Morgenstunden vor Webcam oder Handy und rezensieren ihre per Same-Day-Delivery eintrudelnden Eroberungen aus dem WWW. „Das neue Lizzo-Album auf Vinyl musste ich einfach haben. Ich weiß zwar nicht, wie man das abspielt, aber 20 Prozent weniger sind halt mega – dafür krieg ich zwei Tütchen Pfirsich-Melba-Badezusatz“, informiert die Influencerin KeynesBabe02 ihre 870.000 Abonnenten auf YouTube. Zeitgleich bedankt sie sich via Instagram-Story bei ihren Followern aus Bangladesch: „Much love für das süße Teilchen, das ihr in 1 Sonderschicht zusammengenäht habt, ihr Mäuse!!! <3 Ich bin innerlich tot.“
Noch bevor „Aspekte“ läuft, werden schätzungsweise 7 Millionen deutsche Jugendliche ihr gesamtes Taschengeld für preisreduzierte Produkte ausgegeben haben. Die strahlenden Gewinner dabei: alle. Thank god it’s Friday.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern