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Die WahrheitExpats in Wonderland

Kolumne
von Patricia Hempel

Deutschland macht Schwierigkeiten? Der und die gut aufgeklärte Expat informiert sich im Expatforum. Oder entsteht dort wieder nur eine Filterblase?

J etzt ist es raus: Deutschland ist klar im Rückstand. Jedenfalls findet das „Ki­Tana“ aus Sofia, die seit einigen Wochen in Berlin-Wedding wohnt und über ein Expatforum nach Gleichgesinnten sucht. Sehr gut! Denn ich, die unchillaxte Deutsche, habe in diesem Forum ein fremdes Zuhause gefunden, in dem mir dieses am Postsowjetismus erkrankte Land von außen und innen erklärt wird. Es ist ja auch so: Es gibt in Deutschland schlechteres Internet als in der Mongolei, mehr Papierkram als im alten Russland, Stasimentalität und Third-Reich-Sprech.

Das Expatforum hat auf alle Fragen, die man sich selbst als Einheimische nicht beantworten kann, auch keine Antworten: Liegt es an mir, oder warum klingt die deutsche Sprache so unfreundlich? Wer hat sich diese sadistische Grammatik ausgedacht? Wo finde ich innerhalb von zwei Wochen eine bezahlbare Wohnung im coolsten oder kinderfreundlichsten Bezirk? Warum ist die BVG teuer, dreckig und immer zu spät?

Viele dieser Fragen lassen sich sogar bestimmten Herkunftsländern zuordnen: „Ist die fette Spinne in meiner Küche giftig?“ Australien. „Wo kauft ihr eure Erdnussbutter?“ USA. „Wo finde ich einen gutbezahlten Job ohne IT- und Deutschkenntnisse?“ Alle anderen.

Doch warum mindestens einmal pro Monat Posts zur Anbringung von Gardinen, Jalousien und anderen Privattextilien auftauchen – darauf hat nur User „Fredissimo“ eine Antwort: die Stasi! Privatsphäre gibt es in Deutschland schließlich immer noch nicht … und die Nazivorfahren haben in sadistischer Voraussicht die Decken in den Altbauten mit Absicht so hoch gebaut. Kurzum: Das Expatforum lebt von Mythen und baut auf Klischees, denn beides verbindet und macht die Fremde kalkulierbar. Man versteht das.

Schaltermuttis ohne Wir-Gefühl

Die meisten Bildungsaufträge in Sachen Expatforen beginnen in der Regel mit Betroffenheit und klarem Wir-Gefühl: „Hey Guys, ist euch auch aufgefallen, dass grundsätzlich nur wir beim Schwarzfahren erwischt werden?“ Die Anteilnahme ist groß, wenn ein Spanier seinen Rucksack im Bus liegen lässt und die Schaltermutti im BVG-Fundbüro nicht mütterlich genug ist oder kein Wort Spanisch spricht. Wenn ein Italiener abgelaufenen Käse im Supermarkt kauft und sich beschwert, dass er überhaupt dafür bezahlt hat. Bloß, was erwartet man von einem Land ohne Anteilnahme, aus dem man seinen Verwandten nicht mehr als eine Tüte Humorlosigkeit und einen Stock im Arsch als Souvenir mitbringen kann?

Das Leben in Deutschland, vor allem im selbstvergessenen Berlin, scheint dem Expat hart, obwohl es hier doch so ziemlich alles gibt, was man sich als kunst- und möglichkeitsgeiler neuer Stadtbewohner wünscht: Versteckte Bars in semigentrifizierten Seitenstraßen, echt geheime Ecken, an denen man lange frierend ansteht, um Craftbiere seltener Start-up-Brauereien testen zu dürfen. Blöd nur, wenn die Deutschen ihren Gin Tonic dann immer noch auf Deutsch bestellen.

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