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Die WahrheitMit Facebook, ohne Nazis

Die Norwegen-Woche der Wahrheit: Das Buchmessengeheimnis 2019 ist gelüftet! Jostein Gaarders neuer Roman hat den Titel „Sofies Welt II“.

Illustration: Rattelschneck

Heute beginnt die Frankfurter Buchmesse, und mit atemloser Spannung wartet die literarische Welt darauf, wie sich das diesjährige Gastland Norwegen in das Programm der Messe einbringen wird. Alle Augen liegen jetzt auf Jostein Gaarder, vielfach preisgekrönter Autor von „Sofies Welt“ und einziger Literat des Landes. Nach seinem philosophisch gesinnten Weltbestseller war Gaarder keineswegs untätig, sondern produzierte Young-Adult-Grübelschmöker am laufenden Band: „Das Kartengeheimnis“ und „Das Weihnachtsgeheimnis“ etwa. Neben den von den Fans lang ersehnten Fortsetzungen „Das Geburtstagsgeheimnis“, „Das Brückentagsgeheimnis“ und das „Geheimnis zur erfolgreichen bestandenen Führerscheinprüfung“ bleibt jedoch die eine zentrale Frage unbeantwortet: Wo bleibt eigentlich „Sofies Welt II“? Es handelt sich um nicht weniger als das Buchmessengeheimnis 2019!

Mit „2084 – Noras Welt“ gab es einen ersten Versuch in diese Richtung. Aber die Geschichte von Nora, einer zynischen Cyber-Kriegerin, die sich in einen kräftezehrenden Guerillakrieg mit dem seelenmordenden Konzern Shinra begibt, war für das Zielpublikum verzärtelter Akademikerkinder beziehungsweise deren wohlmeinende Eltern viel zu düster.

Der Druck, der auf Gaarder lastet, ist hoch, ist vielleicht höher noch als bei George „Arr-Arr“ Martin, Autor der beliebten Ritter-Soap „Game of ­Thrones“. So geht beispielsweise der aktuelle Boom des Mädchennamens Sofie vor allem auf Leute zurück, die das Buch damals in den neunziger Jahren gelesen haben und sich nun vom eigenen Nachwuchs erhoffen, dass er überraschende Briefe von unbekannten älteren Männern bekommt. All die kleinen Sofies und ihre Eltern da draußen haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie es mit ihrer berühmten Namenspatronin weitergeht!

„Eine Neuauflage des alten Plots ist nicht so ohne Weiteres möglich“, sagt ein Verlagssprecher. Die Vorstellung, dass zwei alte Männer mit Stalking-Briefen und Gaslighting-Methoden Einfluss auf die Entwicklung einer Vierzehnjährigen nehmen wollen, werde heute zu Recht mit gemischten Gefühlen bedacht. Verworfen wurde ebenfalls eine Prequel-Serie auf Netflix: „Niemand will wissen, wie Sofie zu dem wurde, was sie ist. Weil sie ja von Gaarder als total eindimensionale Projektionsfläche gezeichnet wurde. Wobei, das hat Netflix auch bisher nicht aufgehalten.“

Ins Geradewohl paddeln

Eine Fortsetzung ist auch deswegen so schwer vorstellbar, weil das Ende des Romans so ambivalent ist: Sofie, unfähig zur Kommunikation mit ihren Mitmenschen und zur Interaktion mit der Welt, nimmt sich ein Boot und paddelt ins Geradewohl hinein – „also eine ähnlich tragische Geschichte wie die von Gunter Gabriel, nur ohne Musik“.

Wenn Sofie heute leben würde, wäre sie 42 Jahre alt. Als unsterblicher Geist hätte sie in den vergangenen Jahren Gelegenheit gehabt, die Entwicklung des Internets mit zu beobachten, Zeugin des sozialen Wandels und unzähliger Gespräche zu werden: „Im Grunde ist Sofie Facebook, nur ohne Nazis.“ In der Tradition von „Ghost – Nachricht von Sam“ könnte sie sich im Töpferhandwerk versuchen oder irgendwann von dämonischen Schattenwesen ins Fegefeuer hinabgerissen werden – „das würden wir aber der Fantasie von Herrn Gaarder überlassen“.

Aber die Vorstellungskraft des nordischen Schriftstellers ist nur ein Aspekt – schreiben heute doch an den großen Plots immer auch Vertriebsagenten und Marktforscher mit. „Sofies Welt erschien ja noch vor Harry Potter“, bemerkt Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, „da gelten ja inzwischen andere Gesetze.“

Auf der sogenannten Vertreterkonferenz wünschten sich die Zwischenhändler, dass Sofie in der Zeit zwischen den Büchern entweder Zauberkräfte entwickelt oder von einem Vampir gebissen wurde – „am besten beides“, so Skipis. „Außerdem würden wir es begrüßen, wenn die gute Sofie zwischenzeitlich eine starke, unbequeme Meinung zur Flüchtlingsfrage entwickelt hätte. Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen!“

Von Rache getrieben

Die Geschichte von Sofies doppelgesichtigem Lehrer Alberto Knox oder Albert Knag interessiert den Buchhändler ebenfalls: „Vielleicht hat der Typ noch andere Leute gegen deren Willen angeschrieben. Dann bekam er irgendwann ein Annäherungsverbot, irgendwann eine Gefängnisstrafe! Im Gefängnis wurde er noch psychopathischer, und jetzt, wo er rauskommt, will er Rache an Sofie. Klingt doch toll, oder? Das Ganze dann noch als Regionalkrimi aufziehen, irgendwo in Geiselgasteig oder wo, Tirolerhut aufs Cover, fertig!“

Literaturkritiker betonen, dass es bei „Sofies Welt“ vor allem um Philosophie ginge. „Und da hat sich seit den Neunzigern doch allerhand getan“, so Richard David Precht auf seinem Instagram-Channel. „Kant ist mittlerweile widerlegt, Des­cartes ebenfalls – und ich bezweifle ernsthaft, ob Gaarder die neueren amerikanischen Hegel-Interpretationen überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Ich hab’s ja auch nicht!“

Und so wartet die literarische Welt gespannt auf den Literaturzug der norwegischen Kronprinzessin Mette-Marit, der am Dienstag in Frankfurt am Main eintreffen sollte. In einem angehängten Güterwaggon sei die Erstauflage des neuen Werks gestapelt, heißt es in gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen. Es soll sich um 100.000 von Jos­tein Gaarder persönlich hand­signierte Verkaufsexemplare handeln. Die Buchmesse ist gerettet!

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