Die Wahrheit: Steilste Straße weg
Neues aus Neuseeland: Bitterlich beklagt man im Örtchen Dunedin den Verlust eines der vielen verrückten Weltrekorde, die Aotearoa zu bieten hat.
D ieser Juli war einer unser schwärzesten Monate im Jahr. Nicht, weil es hier auf der Südhalbkugel noch tiefster Winter ist. Sondern weil den Kiwis, die eh nicht viel Spektakuläres aufzubieten haben, ein wertvoller Titel gestohlen wurde. Schmach genug, dass wir zuerst den Cricket World Cup verloren haben. Entthront wurden wir anschließend auch von einem Kaff namens Harlech. Das liegt in Wales. Die steilste Straße der Welt befindet sich offiziell nun dort und nicht mehr in Dunedin. Es geht bergab.
Ende Juni wurde von den Walisern beim Guinness Buch der Rekorde ein für uns höchst alarmierender Antrag eingereicht: „Pen Ffordd Llech – wahrscheinlich die steilste Straße der Welt“. Zwei Wochen später stand das Ergebnis fest und löste in Aotearoa große Bestürzung aus: Harlech lag vorn. Was wie eine Fußnote der skurrilen Ehrenplätze erscheint, ist für die schottisch angehauchte Universitätsstadt auf der Südinsel von Neuseeland jedoch tragisch.
Es sind gerade mal 161,2 Meter, die den oberen Abschnitt der Baldwin Street in Dunedin zur Touristenattraktion machen. Aber die haben es in sich. Betrunkene wie Teenager tragen dort Mutproben aus. Busladungen an Besuchern kraxeln die Straße hoch und runter. Stets dabei, bis zu dreißig Mal täglich: der 68-jährige Anwohner Dave Kernahan, inoffizieller „König der Baldwin Street“. Vor drei Jahren wurde eine öffentliche Toilette errichtet, um dem Ansturm gerecht zu werden.
Kein Asphaltabschnitt im Lande taucht weltweit auf so vielen Selfies auf. Beliebteste Pose: Backpacker krallt sich am Beton fest – oder rollt irgendwie hinab. Die oft genervten Anwohner haben von Pogo-Sticks über elektrische Dreiräder bis Einkaufswagen alles gesehen. Im Januar wagte sich der Erste auf einem Elektroroller hinunter. 2001 starb eine Studentin, die mit einer Freundin in einer Mülltonne hinunterrollte und in einen geparkten Anhänger krachte.
Satte 35 Grad beträgt die steilste Steigung der berühmt-berüchtigten Straße, 37 Grad nun die der Konkurrenz in Wales, wie ein Landvermesser dort bestätigte. Damit ist der Spitzenplatz für die Kiwis futsch. Die „steilste Straße der Welt“ wird ab sofort als „steilste Straße der südlichen Hemisphäre“ vermarktet. Klingt auch nicht schlecht. Und wie Dunedins Bürgermeister Dave Cull lakonisch feststellte: „Die Straße ist dadurch nicht weniger steil geworden.“
Ebenfalls tröstlich ist, dass Neuseeland mit stolzen 320 Einträgen bei den Guinness-Weltrekorden auftrumpfen kann. Darunter: das längste Fernsehinterview – 26 Stunden am Stück – und die meisten Gegenstände mit Zebrastreifen – 508 Teile, zusammengetragen von der Sammlerin seit dem vierten Lebensjahr. Nicht zu überbieten sind die 10.163,66 Meter im Vorwärtsrollen und die größte aller Seifenblasen: stolze 32 Meter aus Spülmittel und Glycerin. Vor zwei Jahren schaffte es ein Marathonläufer in Christchurch, beim Rennen 254 Rubik-Würfel zu lösen. Daran halten wir uns jetzt tapfer fest.
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