Die Wahrheit: Kino mit Killerbaby
Wenn ein blutrünstiger Schocker von niedlichem Babygebrabbel untermalt wird, findet man nach dem Kinobesuch womöglich selbst den Tod.
E s gibt diesen Song von den Go-Betweens, einer leider zu unbekannt gebliebenen Band aus Australien: „The House that Jack Kerouac Built“. Darin geht es um einen Strohwitwer, dessen Angebetete „on the road“ ist – in den Fängen von Hippies. Und es gibt diesen Film von Lars von Trier, dessen Titel sich auf einen Kinderreim bezieht und der von einem Serienmörder handelt, der zuerst nur Frauen, später auch Männer umbringt, inklusive einer Mutter mit zwei Söhnen. Und es gibt dieses kleine kuschelige Programmkino bei mir ums Eck, das diesen blutrünstigen Schocker nonchalant ins Sonntagnachmittagsprogramm gestellt hat. Und schließlich gibt es eine Expatmutter aus Frankreich, die sich nichts dabei denkt und ihr Baby mit in den Film nimmt.
„You and I together, with nothing showing at all“, setzt dieser schön zynische Song aus der Feder Robert Forsters an, „In a darkened cinema, I’ll give you pleasure in the stalls.“ Und: „Das ist das Pferd und der Hund und das Horn / das dem Bauern gehörte, der seinen Mais aussäte“, setzt der Kinderreim an, der in der nächsten Zeile auf „säte“ vielleicht „krähte“ reimt. Es gibt unerschütterliche Mütter, die ihrem Baby das blutrünstige Gemetzel auf der Leinwand zumuten, das Lars von Trier uns aufzwingt, und die Geräuschspur des Films ist jetzt zusätzlich mit Babygebrabbel versetzt. Vorn sieht man, wie eine mittelalte Frau mühsam von Hand erdrosselt wird, während man gleichzeitig von hinten niedliches Gebrabbel hört.
Aber ja, es gibt diese Sachen, wie es auch den Tod gibt. Am Tag nach dem Kinobesuch, der immerhin versöhnlich endete, weil das Baby die letzte halbe Stunde wegen des eigenen Geschreis verpasst hat und von der Mutter aus dem Saal gebracht wurde, kamen zwei Sargträger nicht ohne Sarg aus einem Hauseingang, just als ich daran vorbeiradelte. Der Sarg schien schwer, folglich nicht leer. Die beiden Sargträger steuerten damit auf einen schwarzen Kastenwagen zu. Leichenwagen fallen im Berufsverkehr heutzutage kaum auf. Dass man überhaupt mal einen Sarg sieht, im Alltag, kommt auch nicht oft vor.
Nur dreihundert Meter später hielt rechts von mir ein Möbelwagen, dessen Fahrer eine mannshohe Puppe auf den Nebensitz gepackt hatte. Wohl, um sich auf den Fahrten quer durch die Stadt nicht so allein zu fühlen. Die Puppe wiederum trug eine Scream-Maske. Makaber, dachte ich, und überlegte, ob das jetzt etwas bedeuten soll. Ein Zeichen? Würde ich heute sterben?
„Keep me away from her“, flehen die Go-Betweens, die Zwischengänger. Hat schon mal jemand die Debatte eröffnet, dass auch der Tod immer männlich, nie aber weiblich dargestellt wird? Und wie ist das eigentlich mit dem Haus von Jack Kerouac? Hat er jemals eins gebaut?
Die Rolle des Fährmanns in die Unterwelt, bei von Trier à la Dante Vergil genannt, spielt in besagtem Film übrigens Bruno Ganz. Ein paar Tage nach der Filmvorführung in dem kleinen Programmkino ist er gestorben.
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