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Die WahrheitTage der Vögel

Kolumne
von Jürgen Roth

Auf den Tiroler Literaturtagen gab es unter sehr akkuraten Alpen allerlei gefiedertes und ungefiedertes Volk zu entdecken.

H euer im Spätsommer dürfte ich einen Weltrekord im Zusammensitzen mit Hofrätinnen und Amtsräten, Kommerzialrätinnen und Bauräten, Forsträtinnen und Bergräten aufgestellt haben; nämlich in Hall bei Innsbruck, im Rahmen des Abschlussgalaabends der Internationalen Tiroler Literaturtage Sprachsalz, zu denen mein Bruder Thomas und ich eingeladen worden waren, um nicht mehr zurechnungsfähige Texte über die Vogelwelt vorzutragen und biologisches Achtelwissen zu simulieren.

Die Begrüßung der Honoratioren durch Heinz D. Heisl, einen der fünf liebenswürdigen und aufs Beste ironiebegabten Organisatoren des hemmungslos anpreisungswürdigen Lesefestivals (dergleichen Leute wird man in Deutschland in dreihundert Jahren nicht finden), geriet zu einer derart landestypisch dissoluten, närrischen, fidelcastroartigen oder wenigstens CSU-parteitagsaffinen Namens- und Titelnennungsorgie, dass ich meinem Tischnachbarn, dem fabelhaften Gert Loschütz, vor Lachen beinahe aufs Jackett spuckte.

„Die Alpen sind widerlich“, befand bekanntlich Thomas Bernhard. Das trifft auf die Gegend Hall/Innsbruck allerdings kaum zu. Blickt man aus dem Panoramafenster seines Zimmers im Parkhotel, machen diese ­Alpen einen recht anständigen und nicht zwingend „katholisch-nationalsozialistischen“ (Thomas Bernhard) Eindruck. Und unten, rund um die Bierbedürftigkeitsbefriedungseinrichtung aka Bar und auf der aus einer akzeptablen Ferne bealpten Terrasse, ist ohnehin alles in paradiesischer Ordnung.

Da bekämpft Andrzej Stasiuk die Inhalte von Weinflaschen, die Lyrikerin Meret Gut lässt einen unkeusche Gedanken fassen, Zora del Buono und ihr dialektisch geschulter Hund sowie der Schauspieler und Brillantrezitator Thomas Sarbacher demonstrieren en passant, was Humanität ist, und am Tresen fuhrwerkt segensreich elegant Benno herum, der in Los Angeles einige Jahre Nachbar von Lemmy Kilmister war und in den Spätstunden das Hohelied auf den König des Krawalls anstimmt, zu Recht, zu Recht.

Den ganzen vergnügungs- und erkenntnissüchtigen Sauladen hält auf geheimnisvolle und herzliche Weise der schweizerische Sprachsalz-Kurator, Literaturagitator und Ornithomaniac Urs Heinz Aerni zusammen, der gerade die Pressearbeit für den vor ein paar Tagen in eidgenössischen Kinos angelaufenen Film „Welcome To Zwitscherland – Wie das Land, so die Vögel“ von Marc Tschudin verantwortet.

Urs Heinz Aerni ist ein Geschenk, man muss es so sagen. Er zeigt einem idiotischen Deutschen wie mir ohne jeden Anflug eines belehrenden Habitus nicht nur, was unaufdringliche, womöglich der Überschaubarkeit seines Landes zu verdankende Freundlichkeit zu sein vermag, sondern ohne ihn hätte ich auch nie etwas von dieser bezaubernden, überaus sorgfältig komponierten Dokumentation gehört.

Die Literaturtage – ein Paradies der betörenden Vögel.

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