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Die WahrheitVoll Dünndarm

Pia Frankenberg
Kolumne
von Pia Frankenberg

In ihrem Tagebuch hält eine U-Bahnista fest, wie sich Krankheits-Erzählungen auf sie auswirken. Spätestens nach einer Woche habe sie Symptome.

N eulich in der Berliner U8, ein tätowiertes Muskelpaket mit einem halben Eimer Gel im Haar jammert in sein Handy: „Isch bin jetz Hermannplatz, aber isch kann escht nisch komm, Alda. Isch hab voll Dünndarm!“

Ich weiß, wovon der Mann spricht. Früher hatte man Knie oder Hüfte, aber das ist so Zweitausender! Jetzt ist Milz oder Magen, die Diagnostik hat mit der Kinesiologie den Weg in die Innereien gefunden. Mit deren Hilfe kann man nämlich rausfinden, wo’s klemmt.

Eben noch hat man sich beim exzessiven Herbstspaziergang Rücken geholt, und jetzt liegt man wie mit zum Hitlergruß gestrecktem Arm auf der Therapiebank und fühlt sich wie Peter Sellers in „Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“.

Während innerlich alles „Nein!“ brüllt, befiehlt die Therapeutin erbarmungslos: „Durchdrücken! Dagegenhalten!“, und versucht, den Widerstand zu brechen. Mit einer Hand presst sie auf verschiedene Stellen des leidenden Leibes. Ich hoffe inständig, dass das Ganze nicht zu wissenschaftlichen Zwecken aufgezeichnet wird und im Netz landet, diese Körperhaltung würde jedes Nazi-Treffen zieren, vorausgesetzt, es wird im Liegen abgehalten. Als der malträtierte Arm kraftlos absackt, folgt die Diagnose: Ich hab Galle. Außerdem erfahre ich von wichtigen Muskeln mit poetischen Namen, zum Beispiel meinem Psoas. Der wird zur Entspannung mit Nadeln gemartert. Alda, ich weiß, was du durchmachst.

Das Problem ist, sobald man mir von einer Krankheit erzählt, entwickle ich spätestens nach einer Woche Symptome. Wahre Sorge macht meiner Umgebung jedoch mein Gehör, böswilligen Behauptungen zufolge hat es stark nachgelassen. Vor einem Restaurantbesuch preisen Freunde das fantastische schwäbische Halloween-Schwein, das dort serviert wird, und ich erwarte eine unter Spätzle begrabene Sau im Darth-Vader-Kostüm. Es wird dann aber etwas weniger spektakulär schwäbisch-hällischer Braten gegessen. Ich freue mich zudem auf den Anblick eines eleganten Afrikaners, denn uns ist ein kenntnisreicher Somalier angekündigt worden, der sich um die Getränke kümmern soll; stattdessen erscheint ein etwas dicklicher österreichischer Sommelier, der immerhin exzellente Weine empfiehlt. Und das ist nur die Spitze des Ohreneisbergs.

Dass die Welt noch nicht in Trümmern liegt, ist dem Umstand zu verdanken, dass ich früh von einer Karriere im diplomatischen Dienst Abstand nahm, denn ich neige außer zum Verhören auch zum Verlesen. Passend zur derzeitigen Wetterlage erhielt ich „Diving directions to Florence“ und war froh, dass mir der Tauchgang erspart blieb. Aber ich bin nicht allein. Ein Freund, dem Obdach in einem „wanzenfreien Gästebett“ angeboten wurde, hatte Sorge, er werde am nächsten Morgen vielleicht doch mit Warzen im Gesicht erwachen. Entstellungen blieben aus, aber falls doch noch Symptome eintreten, rate ich: Dagegenhalten!

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Pia Frankenberg
Lebt und arbeitet als Filmregisseurin, Drehbuch- und Romanautorin in Berlin. Schreibt in ihren Kolumnen über alles, was sie anregt, aufregt oder amüsiert
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