Die Wahrheit: Die Söhne des Besenbinders
Die Georgien-Woche der Wahrheit: Wie das beliebte Kaukasusland in grauer Vorzeit zu seinem weltberühmten Namen Georgien kam.
Georgien ist 2018 das Partnerland der Frankfurter Buchmesse. Deshalb wird die Wahrheit in dieser Woche das sympathische Kaukasusland vorstellen. Denn nur die wenigsten wissen: Georgien ist die Wiege der Menschheit. Dort wurden nicht nur die grusinischen Rosinen erfunden, sondern auch der Alkohol und die Sexualität – und das sogar am selben Tag! Außerdem stammen viele berühmte Menschen aus Georgien: George Michael, George Harrison und Heinrich George, aber auch Frida Kahlo – heißen doch buschige Augenbrauen auf Georgisch „Kahlowili“. Übersetzt: „weiblicher Schnurrbart“. All diese und viele weitere faszinierende Fakten rund um das herrliche Georgien hat die Wahrheit gesammelt für eine der schönsten Wochen des Jahres. Getreu dem bärenalten Schlachtruf der Grusinier: „Wili! Wolo! Georgiowulu!“ Korrekt übersetzt: „Wo ein Wili ist, ist auch ein Georgier!“
Es war einmal vor langer, langer Zeit in einer kargen Hütte irgendwo in einem namenlosen Ort im Kaukasus, da hatte ein Besenbinder namens Georg zehn Söhne, und auch sie hießen alle Georg. Das verhärmte alte Weib des Mannes aber, das ebenfalls Georg gerufen wurde, gebar ihm unentwegt neue Söhne, welche die beiden allesamt Georg tauften. Da wurde es in der kargen Hütte bald recht eng, weshalb die ersten zehn Söhne verkauft werden mussten, um Platz für die nächsten zu schaffen.
Den ersten Georg verscherbelte der Vater an die Fremdenlegion, mit der er in Mauretanien gegen wilde Völker kämpfen musste. Das brachte dem Alten 30 Taler ein, die er für einen Esel ausgab, den er Georg nannte.
Der erste und der zweite Georg
Der zweite Georg ging an einen usbekischen Wanderzirkus, dort musste er jeden Abend seinen Kopf in den aufgerissenen Schnabel eines Birkhuhns stecken. Einmal geschah es, dass das Birkhuhn den Schnabel zuschnappen ließ, worauf der zweite Georg vor Schreck verstarb. Das Birkhuhn aber wurde zur Strafe vor dem johlenden Publikum erst gerupft und dann geteert und gefedert.
Der dritte Georg musste für den zweiten Georg einspringen und erlitt das gleiche Schicksal.
Den vierten Georg wurde Vater Georg beinahe nicht los, denn der war für wirklich gar nichts zu gebrauchen. Wenn man ihn nur ansah, fiel er schon um. Schließlich erbarmte sich die Heilsarmee und nahm ihn gegen eine Spende von dreißig Talern bei sich auf. Er wurde in einen gordischen Knoten gewickelt, in dem er nicht mehr umfallen konnte und womöglich heute noch sein zufriedenes Dasein fristet.
Den fünften Georg verkaufte der Vater an die Gregorianer, bei denen er für den Rest seines Lebens freihändig Choräle singen musste.
Georg VI
Der sechste Georg versuchte noch zu fliehen, bevor ihn der Vater an einen Sklaventreiber im Mittleren Westen abstoßen konnte. Allein: Die Flucht scheiterte daran, dass der sechste Georg Linkshänder war und deshalb den Türriegel der kargen Hütte nicht bedienen konnte. Dem Sklaventreiber im Mittleren Westen brachte das Geschäft allerdings kein Glück. Er verschluckte sich eines Tages an einem Klumpen türkischen Honigs, war deshalb für einen Augenblick unaufmerksam, woraufhin alle seine Sklaven die Gelegenheit ergriffen und munter ihres Weges hüpften. So auch der sechste Georg, der aber bald von einer Rotte Keulen schwingender Räuber in einen Wald voller Bäume gescheucht wurde, aus dem er nie wieder herausfand.
Der siebte Georg stellte ein Problem dar: Er hatte nur ein Auge und konnte deshalb nur im Kreis gehen. Doch war er von stattlicher Statur und konnte daher als Voltigier-Pferd an eine verarmte Reitschule auf dem höchsten Berg des Kaukasus vermittelt werden. Als Gegenwert bekam der Vater einen klapprigen Esel, der das neue Tagewerk des siebten Georg bisher hatte verrichten müssen. Auf dem Heimweg zur kargen Hütte blieb der Esel allerdings am Wegesrand stehen und bewegte sich keine Hand weit mehr. Da konnte der Vater fluchen und zetern, wie er wollte. Er hatte ihn doch für 30 Taler an den kolchischen Krämer mit dem riechenden Furunkel verkaufen wollen. Wanderer erzählen hin und wieder, dass der Esel noch immer am Wegesrand steht und mittlerweile von einer ansehnlichen Muschelbank bedeckt ist.
Der achte und der neunte Georg wurden vom Vater an ein halbverfallenes Naturkundemuseum im armenischen Hochland verhökert, wo sie umgehend ausgestopft und als Kannibalenzwillinge zur Schau gestellt wurden. Der Vater bekam dafür eine Dauerkarte und ging noch zwei Monate lang jeden Freitag in die Ausstellung, um seine Söhne anzulächeln.
Dann noch Georg X
Der zehnte Georg wurde für 17 Taler an die Stadtwerke des namenlosen Ortes verramscht. Dazu gibt es weiter nichts zu sagen, außer dass er sich bei der Inspektion der Kanalisation einen Knöchel verstauchte und seither Frührentner mit einem beachtlichen Nebeneinkommen als Manganhutflechter war.
Als endlich die ersten zehn George veräußert waren und die neuen George weiterhin wie Murmeln in die karge Hütte purzelten, da sprach das verhärmte alte Weib zum Mann: „Höre, Mann! Es kommt zu vielerlei Verwirrungen, weil alle unsere Söhne Georg heißen. Nunmehr sind es wieder an die 23 Stück, ich kann sie kaum noch auseinanderhalten. Und ich komme schon wieder ins Gebären. Wie wäre es denn, wenn der neue Georg einfach Horst hieße, um etwas Ordnung in unsere karge Hütte zu bringen?“
Darob verfiel der Besenbinder in eine so ungeheure Wut, dass er rot anlief und sich aufblähte wie ein Ballon und in immer verzerrteren Dimensionen anschwoll, bald spuckte und dann fauchte und wütender und wütender wurde, um alsbald gen Himmel zu steigen und dort mit einem gewaltigen Knall zu zerplatzen.
Und dann kam Georgina
Die Wucht des Knalls verwandelte das Weib wundersamerweise in eine herrliche junge Frau namens Georgina, die fortan Hunderte von glücklichen Kindern gemischten Alters und Geschlechts gebar, die alle Georg hießen und sich im namenlosen Ort ihrer Herkunft fruchtbar verstreuten und sich – wann immer sie einander begegneten – jubelnd begrüßten mit „Hallo, Georg!“ oder „Hohoho, Georg!“ oder auch „Ahoi, Georg!“
Durchreisende nannten den bisher namenlosen Ort deshalb bald schon „Georgien“. Unter diesem Namen ist er bis heute weltweit bekannt und beliebt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten