Die Wahrheit: Kommunistisch langsamer Umzug
In Ostwestfalen hat jeder eine Bohrmaschine, die in ihrer gesamten Lebenszeit höchstens zwei bis drei Stunden läuft. Warum bloß?
I ch muss jetzt endgültig mal hier einziehen. Sieben Monate sind doch genug, um sich sicher zu sein, dass man in dieser Wohnung und in dieser Stadt auch bleiben will. Ich bin wieder zurück nach Ostwestfalen – wegen der Eltern. Von meinen ehemaligen Nachbarn in der anderen Stadt habe ich neulich gehört, meine alte Wohnung sei immer noch nicht wieder vermietet. Ich könnte also theoretisch noch zurück. Aber dafür habe ich inzwischen doch schon zu viele Kisten ausgepackt.
Aber warum ist die Wohnung noch nicht wieder belegt? Warten die, bis ich berühmt bin und sie die Räume dann teurer vermieten können? Muss mein alter Vermieter für die Steuer Verlust machen? Aber jetzt bin ich eben da und habe immer noch zwölf Umzugskartons, die nicht ausgepackt sind. Bin gespannt, was in denen verpackt ist.
Vielleicht sollte ich gar nicht in die hineinschauen. Ich könnte die quasi direkt entsorgen. Wie gesagt: Seit sieben Monaten bin ich hier und habe in dieser Zeit das, was in den letzten zwölf Kisten drin sein könnte, noch gar nicht vermisst. Das könnte also weg. So weit die Theorie meiner Freundin. Meine Praxis ist anders. Es ist auch Vorsicht im Spiel. Zum Beispiel: Ich finde immer noch überall Geld. In fast jedem Karton. Manchmal nur Münzen, manchmal aber auch was im Umschlag und auch gern mal mehrere Scheine. Und nicht nur Fünfer.
Aber es wird langsam wohnlich. Letzte Woche habe ich die ersten Bilder aufgehängt. Also da, wo ich die Nägel in die Wand bekommen habe. Ich habe eine Wand, die bringt mich zur Verzweiflung. In die krieg ich keinen Nagel rein, da müsste ich bohren. Aber ich denke, wenn ich den Nagel schon nicht in den Stein bekomme, dann muss ich doch irgendwann eine Fuge treffen. Jetzt sieht die frisch renovierte Wand mit meinen Nagellöchern aus wie ein Schnittmuster für eine Herrenweste. Ich dachte die ganze Zeit: „Irgendwann muss die Fuge doch kommen!“ Aber es kam nur Stein!
Ich bohre nicht gern. Ich bin Zimmermann. Ich schlage gern Nägel ein, aber bohren ist so gar nicht meins. Ich habe auch gar keine Bohrmaschine. Hier hat jeder seine eigene. Niemand bohrt, nachdem er eingezogen ist, pro Jahr noch mehr als fünf Löcher, die Maschine läuft im Jahr also höchstens zehn Minuten. Die Bohrmaschinen in Privatbesitz laufen in ihrer gesamten Lebenszeit höchstens zwei bis drei Stunden. Es würde reichen, wenn sich ein gesamter Straßenzug eine Bohrmaschine teilte. Aber wir sind hier in Ostwestfalen, hier braucht jeder seine eigene Bohrmaschine! Und selbstverständlich seinen eigenen Rasenmäher.
Bohrmaschinen- und Rasenmäher-Sharing wäre mindestens so vernünftig wie Car-Sharing. Meine Freundin hat das meinen Eltern und ihren Nachbarn neulich sogar mal vorgeschlagen. Da war was los! Seitdem gilt sie als Kommunistin. Mir ist der Zusammenhang allerdings nicht ganz klar. Meinen Eltern war das vor den anderen echt unangenehm, sie konnten es aber erklären: „Sie kommt ja aus Niedersachsen!“
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