Die Wahrheit: Teufel Schmetterling
Zur Zeit flirrt und flattert es allüberall. Doch verdrießen nicht Wespen, Wanzen oder Mücken, nein! Es sind diese angeblich hübsch anzuschauenden Falter.
S paziert man dieser Tage offenen Ohres durchs Diesseits, erhört man ein fast vergessenes Geräusch: Eine neue Generation chitiniger Kerfe ist geworfen und zieht ihre Bahnen vorbei an unseren Lauschern. Und passend zieren jetzt bereits Fliegenklatschen und Lichtfallen die Balkone wie Deutschlandflaggen ab Juni zur Fußballweltmeisterschaft. Doch, weh, es trifft halt immer die Falschen: Wespen, Wanzen, Stechmücken – all diese herrlich brummelnden Schwirrschwärme werden dezimiert, weil sie nicht hübsch genug daherkommen fürs Augengeschöpf Mensch.
Der wahre umherflatternde Misanthrop aber, der lautlose Schmetterling nämlich, wird ob seiner ach so herrlich anzusehenden Pracht nicht nur verschont, sondern gar adoriert, wo er doch eigentlich zum Abschuss freigegeben gehört. Stattdessen benennt die einfältige Gesellschaft Schwimmstile, Turnübungen und Messer nach ihm, gibt ihm je nach Region auch noch niedliche Kosenamen wie „Milchdieb“, „Sommervogel“ und „Schmandlecker“.
Unter den durchdesignten Schwingen des Schmetterlings, von deren Anmut sich die Menschheit erst umgarnen, bald verführen und letztlich langfristig blenden ließ, verbirgt sich aber nichts als ekelerregende Niedertracht.
Beim Wandern lässt sich etwa beobachten, wie der Eisvogel und der Große Schillerfalter bevorzugt an Tierexkrementen und Schweiß nuckeln. Eulenfalter und Spanner trinken gar Kindertränen, scheuen aber selbst vor der Augenflüssigkeit Erwachsener nicht zurück. Um an den begehrten Schluchzsaft zu gelangen, stimulieren sie durch Irritation des Augapfels die Tränenproduktion ihrer Opfer – eine Methode, die sich anrüchige Filmemacher wie Matthias Schweighöfer aus der grausamen Tierwelt abgeschaut haben.
Besonders skrupellos agieren diese Wesen bar jeglicher Existenzberechtigung, wenn keine Säugetier- oder (tatsächlich) Krokodilstränen aufzutreiben sind: In diesem Fall stechen sie ihre Rüssel bis zu sieben Millimeter tief in schlafende Vögel. Andere süffeln sogar „gerne“ (Wikipedia) Blut aus offenen Wunden. Bei dieser Gelegenheit lassen sie es sich freilich auch nicht nehmen, lebensbedrohende Viren zu übertragen.
Schmetterlinge sind also die Sirenen der Wiesen: Halb sinkt der Mensch hin, halb zieht ihn der Schmetterling mit seinem widerwärtigen Sauginstrument. Nicht umsonst lautet der Titel des neuen Frank-Schätzing-Werkes „Die Tyrannei des Schmetterlings“. Wahrscheinlich der einzige richtige Gedanke, den Schätzing je hatte.
Dieses liederliche Animal ist nicht weniger als ein schillerndes Monster, ein kalter Zyniker der Macht, bereit, seine teufelgegebenen Reize zur eigenen Vorteilsmaximierung einzusetzen. Besäße der Schmetterling ein Smartphone, er wäre Influencer.
Gewiss: Das gegenwärtige Insektensterben ist keine schöne Sache. Um den Schmetterling ist es indes nicht schade.
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