Die Wahrheit: Anruf aus der Vergangenheit
Ein Berater der Deutschen Bank ist am Telefon. Plötzlich nimmt der imperiale Stormtrooper des Kapitalismus seinen Helm ab: Er ist ein Mensch!
D as üppige Honorar für diese Kolumne geht auf mein Konto bei der Deutschen Bank. Jawohl, die Deutsche Bank. Daran erinnerte mich kürzlich ein Mann, der sich am Telefon als mein „persönlicher Berater“ aus der neuen Finanzdienstleistungszentrale in Mainz vorstellte. Er wollte nur „alte Angaben“ überprüfen und dies mit einer vertrauensbildenden Plauderei verbinden.
Ich erklärte, dass ich die Deutsche Bank für keine Kraft des Guten auf diesem Planeten halte – was er, zu meiner Überraschung, zerknirscht einräumte. Ihn bekümmere das auch. Warum ich dann überhaupt noch das Konto hätte? Gute Frage.
Also erzählte ich ihm, wie ich im Jahr 2000 im Zustand absoluter Verwahrlosung in Berlin angekommen war. Wie ich mir zwei Wochen vergeblich die Hacken abgelaufen hatte nach einer Bank, die leichtfertig einen verschuldeten Kiffer ohne Personalausweis oder festen Wohnsitz ein Konto eröffnen lassen würde. Damals hätte ich mir selbst kein Konto gegeben, so wie ich drauf war und aussah. Commerzbank, Volksbank, Sparkasse, sogar osmanische Kreditinstitute in düsteren Hinterhöfen wiesen mir die Tür. Schon sah ich mich den Straßenfeger verteilen, als am Hermannplatz mein Blick auf die dortige Filiale der Deutschen Bank fiel.
Mit dem Mut der Verzweiflung betrat ich die Bank. Und dort gab es endlich einen Trottel, nicht älter als ich, der gab mir ein Konto. Warum auch immer. Einfach so. Deshalb bin ich bei der Deutschen Bank. Und bleibe dort auch, selbst wenn sie den Dritten Weltkrieg finanziert.
Schweigen. „Arno Frank?“, fragte mein Finanzberater endlich. „Am Apparat“, sagte ich. „Sie haben bei der taz gearbeitet?“, hakte er nach. „Das tue ich heute noch“, versetzte ich. Und er sagte langsam: „Ich weiß es noch genau. Ich war ganz neu in der Filiale. Es war ein heißer Tag, die Rechner waren kaputt, und ich musste Papier in eine Schreibmaschine spannen, um das Formular auszufüllen, und wie Sie mich ganz ungläubig angeschaut haben, was mich ein wenig stutzig gemacht hat, ob ich auch keinen Fehler mache, und noch am gleichen Abend hat mir mein Filialleiter ganz schön den Kopf gewaschen, weil, der hätte Ihnen auch kein Konto gegeben. Ich war der Trottel.“
Es war, als hätte ein imperialer Stormtrooper des Finanzkapitalismus seinen Helm abgenommen. Und zum Vorschein kam ein Mensch, dessen Entgegenkommen vor einer Ewigkeit ich nie vergessen hatte. Der Sven. Er wohnt nicht mehr in Berlin, ist kürzlich „junger Großvater“ geworden. Am Ende berlinerten wir sogar ein wenig, um der alten Zeiten willen.
Vierzig Minuten redeten wir, verabredeten uns auf ein Bier, bei dem wir über Neukölln und Finanzpakete sprechen werden. Zuletzt erinnerte er daran, dass unser Gespräch „zur Verbesserung der Servicequalität stichprobenartig mitgehört“ worden sein könnte. Wir lachten herzlich. Und schieden als Freunde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“