Die Wahrheit: Die vier Elemente: Wasser
Der Blick streift durchs Hallenbad und erfasst sphinxhafte Frauen, schlaksige Japaner und andere, die das Tableau des Schwimmbads bereichern.
I ch lag erschossen auf dem Sofa, als plötzlich Wasser vom Himmel fiel. Der Regen klopfte an mein Fenster, das hintergründige Plätschern machte mich schläfrig. Eine Wassermusik zur Unzeit. Dabei wollte ich doch schwimmen gehen. Im endlich spaßbefreiten Hallenbad.
Das war die erste Suite. Mit einer Lustfahrt, die nicht viel mehr als ein Gang durch den Regen war, beginnt die zweite. Ich hatte es tatsächlich vom Sofa in die Jacke geschafft, um Wind und Wetter zu trotzen und meine halbwöchentliche Dosis Sport abzuholen – ich gehe gewöhnlich zweimal die Woche schwimmen.
Berichte aus Hallenbädern sind selbstverständlich etwas heikel. Dafür gibt es mehrere Gründe: Da ist das Fotoverbot, man muss also alles aus dem Gedächtnis schreiben. Wobei das seine Vorteile hat. Man bekommt zwar so viel „Haut“ wie sonst nie zu sehen, aber oft sieht die gar nicht so gut aus. Und dann sind Körper in Schwimmbädern meistens unter Wasser, also kaum zu erkennen. Bevor Sexualität ins Spiel kommen kann, konzentriert man sich auf andere Phänomene – zum Beispiel ziehen junge Frauen gern „sphinxhaft“ ihre Bahnen, Blickrichtung immer geradeaus, als ob sie unsichtbare Scheuklappen trügen. Dabei verströmen sie eine Aura sowohl des Geheimnisses als auch des Unberührtseins. Eine Sphinx, die Brust schwimmt. Ja, ach.
Und schließlich lauert noch die Soziologiefalle – im Schwimmbad lassen sich die absonderlichsten Überlegungen zu Herkunft und Verhalten, zu Zeichen und Bedeutung, zu Nostalgie und Teenage-Romantik anstellen. So lösen Menschen, die nach Chlor riechen, die wildesten Assoziationen aus: schlaksige Japaner; deutschrussische Glatzköpfe mit Bierbauch, die paschahaft im Whirlpool hängen und einen per Blickregime aus ihrem Revier vertreiben wollen, dann aber unvermittelt und schulterschließend lächeln, wenn man sich zum dritten Mal nicht hat vertreiben lassen; ein Gewimmel von hinterasiatisch und indisch aussehenden Menschen, die sich zu vierzehnt in das Rundbecken zwängen; unsichere, aber empfangsbereite junge Frauen mit Gewichtsproblemen; ein junges Mädchen im Burkini, das sich kaum auf den Fünfmeterturm traut, dann aber doch springt und beim nächsten, bestimmt schon zehnten Mal wieder genauso unsicher auftritt.
Das Wasser selbst ist mal kristallklar, mal chlorblau. Es ist mal warm, weil die Betreiber der städtischen Bäder einen Wärmezuschlag toll finden, mal ist es kühl. Mal muss man sich hetzen, weil das Hallenbad sich als „Spaßbad“ versteht und eine Rutsche sowie ein Kinderbecken vorweisen kann und man für mehr Geld weniger Zeit zur Verfügung hat. Mal ist es zu voll, weil das Bad zwei Hallen hat, die aber aus Personalmangel immer nur im Wechsel öffnen. Und erst das Personal! Ein Erlebnis ist das Tableau immer.
Schlusssatz der dritten Suite: Wie gut, dass ich es noch geschafft hatte! Glücklich rubbelte ich mich in mein Handtuch.
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