Die Wahrheit: Belästigung durch nackte Bäume
Auf dem Jahreskongress der Helikoptereltern in Hamburg: Die Vorsorge gegen Gefahren wird endlich auf alle Altersgruppen ausgeweitet.
Pornografische Gemälde in New York; traumatisierte Studenten, die in der klassischen Literatur unvorbereitet auf Krieg, Mord und Inzest stoßen – und außerhalb Schwedens soll es immer noch Geschlechtsverkehr ohne notarielle Vereinbarung geben. Kein Zweifel: Die Zumutungen und Gefährdungen im Alltag nehmen zu. Höchste Zeit also, eine Bevölkerungsgruppe zu rehabilitieren, die bisher eher belächelt wurde: die Helikoptereltern. Dieser Tage versammelten sie sich sehr vorsichtig in Hamburg zu ihrem Jahreskongress 2017.
Etwas merkwürdig allerdings ist: Die Delegierten begegnen sich nicht persönlich, sondern kommunizieren über Funk aus vielen nebeneinanderliegenden Einzelkabinen. Denn nach Überzeugung der engagierten Helmträger bergen Begegnungen von Menschen nicht nur Krankheits- und Unfallrisiken, sondern bieten auch Vorwände für Täter.
So erklärt es mir Mane Diekmeyer von „Hysteria“, wie sich eine der Heli-Gruppen selbstbewusst nennt. Die Behauptung, der Mensch sei ein „soziales Wesen“, solle in Wirklichkeit nur Gelegenheiten zu Belästigung und Missbrauch schaffen. Und auch die dem Menschen angeblich angeborene Sexualität sei keineswegs eine biologische Tatsache, sondern nur eine Fantasie perverser Männer.
Schließung aller Begegnungsorte
Kurzfristig fordern die Helis die Schließung aller Orte, an denen Menschen sich begegnen oder traumatisierende Dinger erleben können – Schwimmbäder, Stadien, Kinos, Theater, Museen, Universitäten, Einkaufszentren, Bahnhöfe … Das klingt schon ziemlich radikal, aber es ist sauber begründet: „Das Dilemma lautet doch: Man braucht überall und immer Zeugen – aber die sind zugleich Gefährder und Belästiger.“ Die langfristige Lösung seien Roboter, Kameras und Dauerflutlicht. Aber bis dahin sollten Menschen eben auf Abstand gehen. Auch Erwachsene. Denn die Helis haben 2017 ihre Satzung verändert: Zu schützende „Kinder“ sind seither auch Erwachsene bis 65 Jahren. Und Senioren.
Und dann sprechen wir doch über Minderjährige. Wobei Mane sofort einhakt: „Das Konzept ‚Kindheit‘ ist eine Erfindung zur Rechtfertigung von Missbrauch.“ Gemäß der erweiterten Unesco-Definition sei Kindesmissbrauch alles, was die Eigenschaft „Kind“ zum Thema macht: Kinderlieder, Kinderbücher, Kindergärten, Kindermöbel, Schuhgröße 26, Kindersitze, Kindergärten, Windeln, Brei, Kindergottesdienste, „Spielzeug“, Kinderfilme, Kinderkrankheiten und vor allem Kinderärzte. Auch die Pubertät sei eine Erfindung der SPD. Oder der Chinesen.
Eigentlich, so räumt Diekmeyer ein, sei selbst die Betreuung der Kinder durch Super-Heli-Eltern nur eine Notlösung. In Zukunft sollten das ausschließlich Roboter machen. Aber wären Eltern nicht die geeigneteren Vertrauenspersonen? „Ich bitte Sie! Wodurch sind Eltern definiert? Dass sie das Kind gezeugt haben. Das sind also Menschen, die Sex hatten. Und solchen Menschen wollen Sie unschuldige Kinder aussetzen?!?“ Zum Glück hat sie nicht geschrien – das kann hier sonst schnell ungemütlich werden, wo sich so viel Volkszorn in den Kabinen staut.
Aber wie sähe denn der Alltag eines Zehnjährigen in der idealen Zukunft aus? Nach albtraumlosem Schlaf (Danke, Pharmaindustrie!) im genderneutralen Schutzanzug aus antistatischem Spezialfrottee und im allergiefreien Gitterbett würde das Kind ganz sanft aufwachen, weil der Urinbeutel voll ist. Die Zähne werden mit ultraweicher Dentalwatte geputzt, die mit Libidohemmern getränkt ist. Zum Frühstück gibt es doppelt pürierten Brei mit glutenfreien und veganen Biocerealien.
Ja, und dann? Was ist mit Schule? „Schule? Die Schulpflicht ist längst abgeschafft. Zwang ist Missbrauch. Erziehung ist Gewalt.“ Also lernen die Kinder zu Hause, per Internet? „Internet?! Das ist dann längst ersetzt durch das Filternet. Da kann nur noch gewaltfreie Mineralienvideos sehen.“ Aber wie lernen denn die Kinder? „Lernen?!? Unser Ziel heißt Antialphabetismus. Denn wer einmal lesen gelernt hat, kann auch Böses in die Finger bekommen.“
Streichung unschöner Ereignisse
Das Fernziel sei die Streichung aller unschönen Ereignisse wie Krieg, Trauer und FKK aus allen Werken – dann könne man das Lesen wieder erlauben. Bis dahin biete man Kindern, die versehentlich doch etwas gelesen oder gelernt haben, Rückbildungsgymnastik an.
Und was ist mit Sport und Spiel? „Sport ist Sexualmord. Ich meine, schon das Wort ‚Kontaktsportart‘ sagt doch alles! Ein Tarnbegriff für Belästigung.“ Und anstößige Bewegungen wie Bücken würden ohnehin verboten. Aber einmal im Jahr Toben im Wald werde möglich sein – dann seien ja alle Bäume mit Dämmfolie umwickelt. Schon weil nackte Bäume sexuelle Belästigung sind. Und Spielen sei natürlich erlaubt: mit dem „Barbie-Ken“, dem genderneutralen „Puppenden“ ohne Geschlechtsorgane. Wenn man die Augen zudrückt, sagt eine Stimme: „Lies nicht! Boko haram! Und Finger weg da unten!“
Jetzt wollen wir nur noch eines wissen: Was wird aus der Kunst? Mane bekommt glänzende Augen, als es von den Kultivierungszentren (manche sprechen ehrlicher von „Korrekturzentren“) für Störer und „Künstler“ spricht. Kinderschänder wie Michelangelo, Leonardo da Vinci und all die anderen würden rückwirkend dehabilitiert.
Wir haben genug. Aber bevor wir gehen, fragen wir Mane noch, ob den Veranstaltern klar sei, welch klebrige Location sie hier gemietet haben, so nahe an der Reeperbahn. Und ob sie sich nicht wundere, dass die Teilnehmer dauernd Geld nachwerfen müssten in ihren orangefarbenen Kabinen. Heli, piep einmal!
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