Die Wahrheit: Sirenen für Schaufler
Endlich eine Elchmeldung! Und was für eine! Denn drei Dinge sind es, die ein Mann getan haben muss: Haus gebaut, Baum gepflanzt, Elch gemeldet …
Elchalarm! Der klobige Schaufelträger aus der Familie der Trughirsche dringt zunehmend aus Polen in Brandenburg ein, und der Tagesspiegel fordert seine Leser auf, jedes gesichtete Tier zu verpfeifen. Dazu wird auf ein Elchbeobachtungsformular verwiesen, mit dem man die Elche online an Frau Dr. Kornelia Dóbiaš vom Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde (LFE) melden kann.
Sofort bekomme ich unheimlich Bock drauf, online Elche zu melden. Drei Dinge sind es, die ein Mann im Leben getan haben muss: Haus gebaut, Baum gepflanzt, Elch gemeldet. Die dritte Aufgabe ist die größte, denn das Formular sieht ziemlich kompliziert aus. „Datum“ und „Ort der Sichtung“ sind noch relativ einfach. Ich gebe „heute“ an und den „Wald hinter Sommerfeld“, wo unsere Datsche steht.
Aber dann: „Alter“. Woher soll ich denn das wissen? Es gehört sich nicht, einen Elch nach dem Alter zu fragen. „Geschlecht“. Es gibt keine Spalten für queer oder transgender, trans- oder intersexuell. Da fragt man sich schon: Lebt die Eberswalder Forstbehörde hinterm Mond oder steckt hinter dem heteronormativen Ausgrenzungsmuster das ewiggestrige Kalkül genderkritischer Elchskeptiker?
Unter „Art des Nachweises“ verwenden sie einen nerdigen Naturjargon, als ob der Melder im Wald von Wölfen großgezogen wurde: „Fährte“, „Abwurfstange“, „Fallwild“, „Losung“. Muss ich vor dem Ausfüllen eines einseitigen Onlineformulars erst zwanzig Semester Forstwirtschaft studieren?
„Hurra, ein Elch!“
Die Spalte „Bemerkungen“: Vielleicht sollte ich hinschreiben, „bin mir nicht hundertpro sicher“, damit man mich für meine kleine Mogelei nicht haftbar machen kann. Dabei will ich doch wie immer nur, dass alle glücklich sind. Dass also Kornelia Dingenskirchen meine Elchmeldung erhält und jubelnd vom Schreibtisch aufspringt: „Hurra, ein Elch!“ Kann sie doch nicht nachprüfen. Der Elch kann sich längst wieder versteckt haben. Doch ich habe ihr diesen einen schönen Moment geschaffen, den ihr keiner mehr nehmen kann, nur der Tod.
Aber wahrscheinlich setze ich einen Megaalarm in Gang. Sirenen werden heulen, Elchsondereinheiten auf den Weg geschickt. In der Hektik gibt es gleich mehrere Unfälle mit zahlreichen Todesopfern. Zwei Elchbeobachtungshubschrauber stoßen zusammen und stürzen ab. Einige schlecht gesicherte Granatwerfer gehen los. Ein Elchforscher stürzt und erwürgt sich in seinem Fangnetz, ein anderer bekommt vor Aufregung einen Herzinfarkt. Das habe ich alles nicht gewollt. Ich bin der Geist, der stets das Gute will und stets das Böse schafft.
Und wenn die danach rauskriegen, dass das eine bewusste Falschmeldung war, bin ich dran! Eine Milliarde Schadensersatz plus Schmerzensgeld. Zwanzig Jahre Schuldturm, Hungerturm und Zuchthaus. Nicht zu vergessen die fünfzehn Euro Strafe vom Ordnungsamt für eine Elchfalschmeldung.
Na gut, ich riskier’s trotzdem. Ich kann ja sagen, ich wäre auf der Maus ausgerutscht. Oder, besser noch, jemand hätte meine sämtlichen Accounts gehackt. Onlinebanking, Nacktfotos und Mailordner links liegen gelassen und nur in meinem Namen eine Elchmeldung verfasst, um mich größtmöglich zu schädigen. Unter Angabe falscher Kontaktdaten sende ich die Meldung schließlich ab. Dann warte ich.
Auf Elchpirsch in Neukölln
Keine Antwort ist eine gute Antwort. Davon ermutigt, schicke ich gleich noch ein paar Formulare los. Diesmal in meiner Nähe in Berlin-Neukölln. Eine Sichtung Friedel- Ecke Pflügerstraße. Bemerkung: „Großer Bulle isst einen Apfel. Wirkt ausgeglichen und fröhlich.“ Einer auf dem Spielplatz in der Hobrechtstraße. Bemerkung: „Kleines Mädchen von der Wippe geschubst.“ Einer in der Hasenheide, in der Nähe von dem Teich, wo die immer die Rave-Partys veranstalten. Bemerkung: „Junge Elchkuh, offensichtlich schwerst auf Pille.“ Und einer bei Karstadt Hermannplatz in der Zooabteilung. Bemerkung: „Könnte auch ein Meerschweinchen gewesen sein. Voll nicht sicher.“ Ich muss glaubwürdig bleiben. Die Bemerkungen sind irgendwie das Wichtigste. Die müssen sitzen.
Kurz darauf ertönen draußen Sirenen. Ich blicke auf die Straße. Unten fährt ein grüner Lieferwagen nach dem anderen vorbei. Die orangefarbenen Dachleuchten blinken. An den Seiten steht „Elchnotdienst“ und daneben ist eine stilisierte Schaufel abgebildet. Was mich allerdings nachdenklich macht: Aus den offenen Fenstern ragen die Läufe großkalibriger Jagdflinten. Die Logos sind Fälschungen. Was werden die bloß mit den Elchen machen?
Und ich wäre schuld. „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ Ich hätte leichtfertig ihren Standort verraten. Von wegen „Landeskompetenzzentrum“ – dass ich nicht lache! Da steckt doch Geldgier dahinter. McDonald’s, Burger King, Foodora. Der Elchbeobachter träumt von Naturschutz, stattdessen knallt ein Hobbyjäger den Elch ab und verhökert ihn an die nächste Frittenbude, die Elchburger draus macht. Dann gibt es „Los Wochos Canadienses“ unter dem tollen Motto: „Schaufel dir einen“ – im Menü mit Pommes und Cola nur 4,79 Euro. Insofern bin ich natürlich froh, die Meldungen bloß gefakt zu haben.
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