Die Wahrheit: Adiletten, Alder!
Perfekte Begleiter für den Tag: das modische Comeback der Schlappe, die als Krone der Evolution bezeichnet werden muss.
Die Modewelt verhält sich in etwa wie ein junges, verstörtes Kätzchen. Kommt etwas Unerwartetes, dreht sie komplett durch. Aktueller Unruhestifter ist die einstige modische Todsünde Nummer eins: die Adilette. Mit Tennissocken. Sie besitzt die Unverschämtheit, bei jungen Leuten voll im Trend zu liegen.
Dabei ist es höchste Zeit, der Adilette – unabhängig von jeglichem Hype – den Respekt zu zollen, den sie sich schon lange erlatscht hat. Die Badelatschen sind der perfekte Begleiter für den Tag, und wer es richtig anstellt, trägt sie bis zum Tod am Fuße.
Bereits nach dem Aufstehen schützen die „Plastik-Ritter“ (Cicero) die arg empfindsamen Sohlen ihres Trägers vor den kalten Fliesen im Bad. Auf dem Weg ins Esszimmer verhindern die Adiletten ein schmerzhaftes Aufeinanderprallen der zarten Fußsohlen mit steinhart getrockneten Brotkrümeln, die noch vom Abendbrot auf dem Boden lauern. Hierdurch bedingte Krankschreibungen verursachen jährlich immerhin einen betriebswirtschaftlichen Schaden in Höhe von 5 Milliarden Euro!
Doch jetzt kann sich der stolze Adiletten-Träger unerschrocken auf den Weg zur Arbeit begeben. Mit sicherem Gang durchschreitet er die Pfütze Erbrochenes vor der U-Bahn-Station. Selbst die unachtsam weggeworfene Junkie-Spritze hat keine Chance gegen das betonharte Gummi der Latschen. Über Bierlachen und andere Rutschbahnen im Nahverkehr lacht der Träger und hilft weniger glücklichen Schuhträgern mit sicherem Stand wieder auf die Beine.
Schlappen als Druckmittel
Im Büro zeigt er Kollegen und Vorgesetzten den richtigen Kurs an: Er muss sich keinerlei Kleidungszwängen unterwerfen, denn seine Arbeitskraft ist zu wichtig für das Unternehmen. Wer in der Gehaltsverhandlung die Beine lässig übereinanderschlägt und den großen Zeh hin und wieder vorwitzig aus dem Schlappen winken lässt, zaubert dem sonst so mürrischen Chef ein Lächeln auf das verhärmte Gesicht. Eine Verdreifachung des Monatsgehalts bei Halbierung der Wochenarbeitszeit? Wer so mühelos seine Schlappen präsentiert, kommt mit allem durch!
Ist die Arbeit getan, hinterlässt die Adilette bei jedem gesellschaftlichen Anlass einen nachhaltigen Eindruck. Anfänglich mögen die anderen Opernbesucher noch verächtlich auf den ordinär belatschten Gast blicken. Doch im Laufe des Konzerts werden sie voller Verzückung wahrnehmen, wie die feinen Härchen auf den Zehenkuppen bei jeder Taktänderung erzittern und im großen Finale in rhythmischer Perfektion mitwippen. Welch verkanntes musisches Talent schlummert in dieser Körperregion, der wir sonst sträflich selten Aufmerksamkeit schenken?
Schlappen und Odeur
Wieder zu Hause, kuschelt sich der Träger unter die gemütliche Bettdecke, während seine Latschen den wohlig-bekannten Gummigeruch verströmen, wie von Meisterhand kombiniert mit dem Odeur vielfältiger Flüssigkeiten und Substanzen, die sich im Laufe des Tages mit dem Profil der Sohle vereint haben.
All das ist für modebewusste Jugendliche und hippe Trendsetter selbstverständlich unerheblich. Schon morgen streifen sie ihre Badelatschen ab und eilen dem nächsten Trend hinterher. Doch die Adilette wird bleiben. Mit ihr lässt sich gar nicht eilen.
Badelatschen sind so alt wie der Homo sapiens und seit jeher ein Dauerbrenner. „Auf meinen zwei Sohlen allein kann ich nicht stehen!“, ritzte ein früher Vorfahr in eine Höhlenwand auf der Schwäbischen Alb. Die älteste bekannte Menschenfigur der Welt – die Venus vom Hohle Fels – trägt bereits eine Frühform der Adilette, selbstredend nicht aus Gummi, sondern aus Stein.
Der Homo sapiens ist auch deswegen ein Erfolgsmodell der Evolution, weil er rechtzeitig erkannte, dass der Fuß anatomisch betrachtet Mumpitz ist. Die Sohle empfindlich, die Zehen krumm, der Geruch streng. Auch optisch meist kein Hochgenuss. Manch Raubtier sah in dem unbesohlten Fuß gar eine ästhetische Provokation und setzte dem traurigen Spiel ein frühes Ende. Die konsequente Beschuhung war die einzige richtige Antwort. Im survival of the fittest setzten sich unsere besohlten Vorfahren durch. Nicht ohne das richtige Maß zu wahren: kein Schuh, sondern ein Schlappen, der möglichst viel Fuß frei lässt, um das hochsensorische Potenzial (siehe Opernmusik) nicht einzuschränken.
Die Adilette bekommt nun also ihre öffentliche Rehabilitation. Vorerst verursacht das allerdings Irritationen: Latschen mit Strasssteinen, Exemplare aus Plüsch oder Luxuseditionen diverser Designer. Doch hat sich die Aufregung erst einmal gelegt, dann ist es wieder Zeit, die Adilette ganz unverkrampft zu tragen. Natürlich ohne Socken, die nur eine unnötige Barriere bilden und so verhindern, dass Träger und Latschen „connecten“ (Echo der Frau).
Und wer gern über dickbäuchige Deutsche auf Mallorca lacht, die in ihren Adiletten volltrunken zum Strand stolpern, darf nie vergessen: Das Tragen der Schlappen macht sie zur Krone der Evolution.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut