Die Wahrheit: Kampf dem Krampf
Was um alle Welt hat es bloß mit diesem merkwürdigen Spasmus im Reich der Muskeln auf sich. Und gibt es irgendwo Abhilfe?
„Spasmus sein“, sagt der Volksmund, aber beliebt ist der Krampf oder Spasmus nicht. Das liegt daran, dass mit ihm immer ein „abnormer oder disharmonischer Reizzustand einhergeht, der zu einer schmerzhaften Zusammenziehung des Muskels führt“ (Klencke, „Hauslexikon“, 1892). Mit anderen Worten: „Aua, aua!“
Der beliebteste Krampf ist noch der Lachkrampf, alle anderen sind rundum unbeliebt: Egal ob Schrei- oder Schreib-, Wein- oder Waden- oder auch der Scheidenkrampf. Seltsamerweise scheinen alle diese Krämpfe zutiefst menschlich zu sein, denn wer hat schon einen Wein- oder Schreibkrampf bei einem Tier erlebt? Wer wurde schon Zeuge eines Wadenkrampfes bei Hund oder Katze? Spasmologen (Krampfkundler) können also mit Fug und Recht behaupten, der Krampf unterscheidet den Menschen vom Tier.
Unser erster Krampf ist meist ein Schreikrampf. Diesem cholerischen Affektkrampf liegt ein veritabler Wutanfall des neuen Weltbürgers zugrunde, der nur schwer zu beenden ist. Klencke empfiehlt, „das Lokal (?) zu verdunkeln“ und die Füße des kleinen Wutbürgers „in wasserge-tränktes Flanell“ einzuschlagen, und rät ferner dazu, „Senfteige auf die Waden zu geben“.
Auch beim ganz und gar erwachsenen Menschen soll es ab und an Schreikrämpfe geben, wissenschaftlich belegt sind diese jedoch allerdings nicht, vermutlich, weil sich die Umgebung des Schreihalses recht rasch entfernt, sofern sie nicht doch und dummerweise von einem veritablen Wadenkrampf aufgehalten wird.
Jetzt nichts falsch machen
Dieser ist dann auch der gefährlichste Krampf – besonders, wenn er beim Schwimmen auftritt. Was tun in so einem Fall? Erst mal Ruhe bewahren! „Der Krampf allein hat noch niemand zum Ertrinken gebracht“, beruhigt Martin Bauer von der Berliner Wasserwacht, „die falsche Reaktion aber schon“. Ein spontaner Hilfsschreikrampf wäre dabei sicherlich die allervorteilhafteste Reaktion, um die professionellen Helfer von der Wasserwacht zu alarmieren. Aber zwei Krämpfe auf einmal sind des Guten denn doch zu viel.
An Land und besonders am Schreibtisch ist der meistgefürchtete Krampf der Schreibkrampf. Die Geisel der Schreibtischtäter hieß zu Dr. Klenckes Zeiten noch „Schreibekrampf“. Das e blieb mittlerweile auf der Strecke, denn beim Schreibkrampf hilft jeder weniger zu schreibende Buchstabe.
Dr. Klencke schimpfte schon seinerzeit äußerst fulminant über den neumodischen Schreibekrampf: „Ein in unseren schreibsüchtigen und schreibpflichtigen Zeiten, namentlich bei Schriftstellern und Bureau-Unterbeamten vielfältig zur Sprache gekommenes Übel.“ Und „so erscheint der lästige Krampf aber als ein Product der modernen, verfeinerten Handfertigkeit, welcher die Natur nicht immer folgen will“.
Vom Instrumentenkrampfe
Aber auch heutzutage leiden noch immer Schreiberlinge jeglicher Couleur unter der leidigen Anspannung, dazu kommen Musiker, die berufsbedingt am Instrument verkrampfen. Als prominente Beispiele gelten der junge Robert Schumann oder auch Glenn Gould. Dagegen tun kann man wenig, man sollte anderes Arbeitsgerät ausprobieren und sich in den betroffenen Finger hineinfühlen, sagen Spasmologen etwas hilflos.
Keinesfalls hilft es, den Schutzheiligen aller Verkrampften, Krampus, anzurufen. Diese ursprünglich hundertprozentig heidnische Schreckgestalt ging im Ostalpenraum dem christlichen Nikolaus willfährig zur Hand, indem sie die unartigen Kinder handfest mit der Rute bestrafte (siehe auch Schreikrampf). Der Name des Kinderschrecks leitet sich von „Krampen“ ab, was „Kralle“ bedeutet (Krikipedia), die ja auch „Krampfhand“ genannt wird. Damit schlägt sich Prügelteufel Krampus handfest seit der Reformationszeit durch.
Bis heute hat sich in einigen Regionen der Brauch des Krampuslaufens erhalten, bei dem verkleidete Krampusse durch die Straßen ziehen und Passanten erschrecken. Diese Vorhooligans sorgen durch Rempeleien und Provokationen immer wieder für Kritik und Entsetzen. Im Jahr 2013 wurden so nach mehreren Krampusläufen in Osttirol acht Verletzte in das Bezirkskrankenhaus Lienz eingeliefert. Da lob ich mir den harmlosen Wadenkrampf oder den Schreibekrkrkrkr…
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?