Die Wahrheit: Größter aller Gallier
Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Der französische Superpräsidentschaftskandidat Emmanuel „Im Arsch“ Macron.
Er macht die Dicken hören, gibt den Sehenden eine Stimme und führt die Menschen trockenen Fußes in die gelobte Zukunft, wo Milch und Honig aus purem Gold warten: Emmanuel Macron, der 39-jährige Wundertäter, Strahlemann und Sunnyboy, Erlöser Frankreichs und Erretter Galliens.
Stadien, die sonst leer dahindämmern, füllt er bis auf den letzten aufrechten Platz, Säle, die scheintot in den Bürgerhäusern ruhen, bringt er zum Platzen. Wenn er in einer Stadthalle unter stürmisch aufbrechender Musik die Bühne betritt, geht im Saal die Sonne auf. Wenn er unter freiem Himmel zu den Menschen spricht, öffnen sich die Wolken und das Antlitz Gottes leuchtet hervor.
Ob Paris, Lyon oder Straßburg: Wo Frankreichs Heiland erscheint, explodieren die Massen vor Begeisterung. Einige auch sinken still und ehrfürchtig auf die eigenen Knie, die selig aufgespannten Augen größer als das Gesicht, während schrill überdrehte Mäuschen ihr Höschen auf die Tribüne klatschend schleudern.
Macron, der Beglücker Frankreichs und auch der Franzosen, Macron, die Personifizierung 39-jähriger Jugend, Macron, die leibhaftige Verkörperung der Grande Nation, die ihn verkörpert, Macron, die lebendige Heilserwartung eines paradiesischen Morgens, ja: Emmanuel Macron mit seinem alle Menschen erweichenden Charisma ist die Wiedergeburt der heiligen Johanna von Orleans und wird alle Schatten persönlich zertrümmern, die das Land plattwalzen wollen!
Sexbombe vor der Ernte
Während die Sexbombe Frauenherzen erntet und selbst vernünftig verdrahtete Männergehirne in ihre Spur zieht, spricht von den meisten seiner Konkurrenten um den Thron der Republik niemand mehr. Spätestens im Stichkampf wird der Supermann alles auslöschen, was sich auf seinem Zug in den Élysée ihm, Emmanuel Macron dem Großen, in den Weg zu rollen wagt!
Messias Macron: Erst im April 2016 gründete er seine Bewegung und taufte sie auf den Namen „En marche!“, das heißt bekanntlich „Im Arsch!“ und meint: die Feinde. Kein Jahr später zählt sie bereits 170.000 Jünger und nicht ganz so viele Köpfe – weil sie schon einen hat: Emmanuel Macron! Mehr braucht der künftige erleuchtete Präsident der Republik nicht, die als Lichtgestalt über den Parteien schwebend nur noch Franzosen kennt und als Cäsar und Volkstribun die korrupten Politiker aus dem Tempel jagen wird, die eingesessene Elite demoliert und das Establishment einstampft!
Keinen einzigen schnurgeraden Franzmann stört es, dass der Superstar selbst bis zum Scheitel im Establishment steckt. Schon vor seiner von Trompetengeläut begleiteten Geburt am 21. 12. 1977 gehörte der Fötus den besseren Kreisen an, beide Elternhälften waren bestens bestallte Medizinprofessoren am Universitätsklinikum in Amiens. Mit 15 lernte das frühreife Genie, von Engelsklängen umgeigt, seine Französischlehrerin und spätere Gattin Brigitte Trogneux, Abkömmling einer betuchten Chocolatier-Familie, kennen; mit 16 gewann das Wunderkind unter öffentlichem Applaus einen Wettbewerb in französischer Sprache und zum allgemeinen Entzücken einen Preis im Klavierspiel.
Der werdende Gigant besuchte unter den Hochrufen der Pariser das dortige Elitegymnasium Henri IV., studierte unter dem Jubel von tout Paris an der Universität Paris X Nanterre und parallel, von den Freudensprüngen der hauptstädtischen Bevölkerung begleitet, am Institut d’études politiques; zur Krönung durchlief der Held anschließend unter den Ovationen ganz Frankreichs die Kaderschmiede ENA, die École nationale d’administration als der Besten einer.
Sohn Gottes im Anzug
Das war nur die Ouvertüre. Danach machte der Meister selbstverständlich Karriere, zuerst als fantastischer Investmentbanker bei Rothschild & Compagnie und dann wie vorgezeichnet als ingeniöser Wirtschaftsminister, dessen Zeit und Raum überragendes Format einzig die mittelmäßigen Gewerkschaftern nicht bemerkten, die daraufhin vom herrlichen Macron der Verdammnis anheimgegeben wurden: Statt gegen den Erwählten zu demonstrieren, sollten sie besser arbeiten gehen, um sich einen Anzug leisten zu können, wie er, Gottes Sohn Macron, ihn trüge.
Dessen ungeachtet: Der Gott, der über Frankreichs Boden wandelt, hat die Stimmung unten erkannt. Er ahnt, dass dem Establishment die Beine auf Erden abgesägt zu werden drohen, wenn nichts geschieht. Also hob Er sich höchstselbst an die Spitze und durfte sogleich fast drei Millionen Euro von entsprechend geeigneten Spendern einstreichen.
Weil Er eine Magisterarbeit über Macchiavelli schrieb, weiß Er, wie man die Massen an der Nase packen muss. Der jeden an der Wurzel fassende Patriotismus bringt die sozialen Gegensätze und bequemerweise alles andere zum Verdampfen, und das Programm ist mit den Prinzipien „Weder links noch rechts“ und „Sowohl als auch“ so rund gehäkelt, dass es allen auf der feuchten Zunge zergeht. Hauptsache, niemand kommt ihm, Emmanuel Macron, auf die Schliche. Wer weiß, was eine Agenda macht, ahnt allerdings, was der da im Schilde führt!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind