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Die WahrheitDie Leitkultur der Meerschweinchen

Kolumne
von Susanne Fischer

Der neue Werbespruch der CSU für die Bundestagswahl 2017 steht fest: „Christentum und Schweinefleisch machen deutsche Bräute heiß!“

D iese Kolumne ist frei von Risiken und Nebenwirkungen, US-Wahlen und Tieren. So verlangt es der Redakteur. Dabei könnte ich bestimmt nicht ohne Tiervergleiche über die US-Wahlen schreiben, und somit geht der redaktionelle Doppelverbotsbeschluss vollkommen in Ordnung.

US-Wahlen, pah! Ich schreibe lieber über die „Leitkultur als gelebten Grundkonsens in unserem Land“. Ich bin wirklich gespannt, was die CSU, die sich das in ihr neues Grundsatzprogramm diktiert hat, eigentlich damit meint. Alle wollen dasselbe, Merkel in die Elbe? Currywurst mit Pommes-Schranke wird gelebter Nationalfeiertag an jedem ersten Sonntag im Monat? Dazu singt die Gesamtbevölkerung: „Einer geht noch, einer geht noch rein“?

Ha, ich sehe sie vor mir, die Parteistrategen. Der erste ruft: „Christentum und Schweinefleisch machen deutsche Bräute heiß! Schreib das ins Programm!“ Und der zweite dann so: „Nee, ey, klingt nicht so toll. Du hast ja recht, aber kann man das nicht anders ausdrücken?“ Und der dritte dann: „Ja klar: Leitkultur! Grundkonsens!“

Der gelebte Grundkonsens in unserem Land bestand bisher darin, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Straßen sowie Steuergesetze nur für Idioten und Frauen gelten, dass man die Grenzen endlich schließen sollte und dass man in jeder Schlange, ob Supermarktkasse oder Arztwartezimmer, gnadenlos vordrängeln darf, jedenfalls als Bio-Deutscher. (Im letzten Satz kam ein Tier vor, verflucht. Ja, genau, Bio-Deutscher.)

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Das darf man aber nicht sagen, jedenfalls nicht so, da gibt es auch einen Grundkonsens. Man spricht besser vom hohen Gut der individuellen Freiheit und der belebenden Kraft des Wettbewerbs. Sowie natürlich von der Bewahrung der Leitkultur.

Dabei haben die Leute eigentlich ganz andere Sorgen, zum Beispiel die in Osterode. Die haben ihre Identität verloren, weil ihr Landkreis mit dem der Nachbarn zusammengelegt wurde und nun Göttingen heißt. Die Verwaltung spart dadurch, aber der Bürger klagt.

Ist ja alles nur symbolisch, möchte man dem Osteroder zurufen, so ein Landkreis ist doch auch eine Last, die seid ihr los, und ihr habt endlich die Chance, einen neuen Grundkonsens mit den Göttingern zu leben. Aber beim Osteroder hast du keine Chance, der will sich einfach nicht integrieren. Aus Kummer klaut er jetzt sogar die alten Ortsschilder. (Deutscher Grundkonsens: Was an der Straße steht, darf man mitnehmen.)

Dennoch hat die Verwaltung Verständnis für die bockigen räuberischen Harzbewohner, und das klingt im Radiointerview dann so: „Die emotionale Berührbarkeit in Sachen Mensch ist uns bekannt.“ Auf Deutsch: Heul doch!

Das möchte ich auch dem Verlierer einer Großveranstaltung zurufen, die in dieser Kolumne leider nicht vorkommen darf, und der übrigens ein Meerschweinchen auf seinem Kopf spazieren trägt. Verpfeifen Sie mich nicht. Vielen Dank für Ihren Grunzkonsens.

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