Die Wahrheit: Herne in Finnland
Was den Deutschen ihre Chips, sind den Finnen ihre Erbsen. Anhand der grünen Knabberei lässt sich einiges über die Nordlichter herausfinden.
H erne ist eines der wichtigsten finnischen Gemüse. Herne heißen dort die Erbsen. Es gibt sie in freiem Verkauf, auf dem Markt oder vor Supermärkten, zusammen mit Mansikka, Erdbeeren. Die Erbsen sind in der Schote. Frisch vom Strauch. Finnen haben in den Sommermonaten immer eine Schale voll davon im Haus. Der Finne futtert Erbsen wie unsereiner seine Chips.
Finnen, das irritiert reisende Deutsche zuerst, verkaufen Waren nicht nach Gewicht, sondern nach Inhalt. Hier gibt es geeichte Litergefäße: Halbliter, Einliter und – für Kartoffeln – Dreiliter. Die werden von der Verkäuferin beherzt mit Erbsen gefüllt, und es werden immer einige oben auf gestapelt. Ein Extra. Manchmal wirft die Verkaufsfinnin auch noch eine Handvoll hinterher in den Beutel. Diese Großzügigkeit belohnen Einkaufsfinnen mit Standorttreue. Oder wie es Toni vom Shop „Little St. Louis“ in Lahti auf T-Shirts drucken lässt: „support your local“.
Ein Motto, dass sich viele Deutsche hinter die Ohren und ins Portemonnaie schreiben lassen sollten. Das Ladensterben in unseren Innenstädten ist wenig verwunderlich, wenn alle in „Center“ oder „Malls“ fahren. Warum Städte selbst diese Entsaftung ihrer Innenstädte vorantreiben, ist höchstens durch Bestechung erklärlich.
Zurück nach Finnland an den Erbsenstand. Wo sich anhand der Herne gut eine Art von Siebeneck aus Luxus und Lust, Bodenständigkeit und Kosten, Vergnügen, Arbeitskraft und Mindestlohn beschreiben lässt. Denn auf unserer Finnlandreise wollen auch wir echte Finnen sein. Also kaufen wir Herne. Ein Liter für drei Euro. Vier Liter für zehn. Wir nehmen vier, denn wir fahren für einige Tage in die finnische Einsamkeit, in ein Mökki am See. Es gehört Irma und Roope, und ich bin eingewiesen, wie man die Sauna bedient, wie zu heizen ist.
Am Abend gibt es in Roggenmehl gebratenen Fisch, Muiku, den uns unsere Freundin Marja-Riitta mitgegeben hat. Meine Rita mit weniger als der Hälfte der Buchstaben kocht dazu Kartoffeln und Erbsen auf dem alten Eisenherd, mit Holz befeuert, im Seewasser, dass ich eimerweise hochtrage. Very basic. Danach gehe ich Holz hacken. Keiner von uns diskutiert die traditionelle Arbeitsteilung.
Meine Freundin ist sehr klug und kann, im Gegensatz zu mir, rechnen. Abends sagt sie: „Bei uns bekommst du die Erbsen tiefgefroren oder in der Dose für maximal die halbe Kohle. Der Finne lässt sich das Pulen ja ganz schön was kosten!“
Wir greifen zur nächsten Erbse. Wir sind Finnen. Dieser Spaß am Pulen, statt einfach in die Tüte zu greifen, diese Lust, sich diesen schlichten Luxus etwas kosten zu lassen, die Gelassenheit der Finnen zwischen Sauna und See könnte uns zwei schwer infizieren, gäbe es nicht das vermaledeite Internet, das nun auf Deutsch auch ins letzte Mökki per Smartphone den täglichen Irrsinn der Welt bringt. Aber wir haben nicht nur kein Wasser. Hier gibt es auch keinen Strom. Und spätestens morgen haben unsere Handys keinen Saft mehr. Und dann bleibt die Welt draußen. Herrlich!
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