Die Wahrheit: Zuhälter durch Zufall
Horst verhalf mir zu einem alten Campingbus. Damit fuhr ich nach Irland. Der Wagen wurde nach meiner Rückkehr zu einem Puff umfunktioniert.
H orst ist gestorben. Das ist zwar schon gut zehn Jahre her, aber ich habe es jetzt erst erfahren. Früher traf ich ihn oft, denn er war Angestellter eines Berliner Sportvereins, dessen Heimspiele ich regelmäßig besuchte. 1974 wollte ich in den Sommerferien mit einem Freund zum ersten Mal nach Irland. Weil wir wenig Geld hatten, suchten wir ein Auto, in dem man auch übernachten konnte.
Horst beschaffte uns für 500 Mark einen Ford FK1000, den Vorläufer des Transit, Baujahr 1959. Der Wagen hatte keinen TÜV und ein paar Löcher im Boden, die wir mit Spachtelmasse reparierten. Beim dritten Versuch bekamen wir endlich die TÜV-Plakette. Eine Bekannte schenkte uns ihre alten Matratzen, und meine Mutter nähte Vorhänge, die wir mit einem Gummiband befestigten. Dann fuhren wir los.
Die erste Panne hatten wir kurz hinter Hannover, als die Scheibenwischer aufgaben. Wir banden ein Seil um die Wischer und verknoteten es innen vor der Windschutzscheibe. Der Beifahrer musste bei Regen das Seil dann immer hin und her ziehen, um die Scheiben zu wischen.
In Schottland versagten schließlich die Bremsen. Luft in der Bremsleitung, analysierte der Mechaniker und zeigte uns dann, wie man die Bremsen entlüftet, so dass wir weiterfahren konnten. Von der schottischen Westküste setzten wir mit der Fähre in die Krisenprovinz Nordirland über. Sofort fielen uns die Schilder auf: „Control Zone“. Dort durfte man keinesfalls anhalten. Prompt blieb das Auto stehen.
Innerhalb von Sekunden waren wir von acht britischen Soldaten umzingelt. „Ihr seid doch zwei kräftige Jungs“, meinte einer von ihnen, „schiebt das Auto über den Berg, damit ihr aus der Kontrollzone verschwindet.“ Wir seien doch zehn kräftige Jungs, entgegnete ich, und nach kurzer Diskussion willigten die Soldaten fluchend ein, uns beim Schieben zu helfen.
Abgesehen von ein paar kleineren Zwischenfällen ging danach alles glatt, bis wir auf der Rückfahrt an Hannover vorbei kamen. Diesmal gab der Wagen endgültig auf: Motorschaden. Ein freundlicher Autofahrer schleppte uns auf die Raststätte Zweidorfer Holz, wo wir die Kiste zurückließen und nach Berlin trampten. Da der Wagen aber leider nicht für immer auf der Raststätte bleiben konnte, ließen wir ihn von einem Abschleppdienst nach Berlin bringen.
Wir wollten ihn verschrotten, doch Horst bot an, das Auto für 250 Mark zurückzunehmen. Glück gehabt, dachten wir, aber was hatte er mit dem Schrotthaufen vor? Dann entdeckten wir ihn: auf der Potsdamer Straße im Rotlichtviertel. Die Gardinen waren zugezogen. Aus unserem betagten Auto war ein Puff auf Rädern geworden.
Nun wurde mir klar, warum Horst mir bei jedem Heimspiel seines Vereins 50 Mark in die Hand drückte. Wir hatten schon 150 Mark mehr für den Wagen bekommen, als wir bezahlt hatten. Wir waren, ohne es zu wissen, zu Zuhältern geworden. Ich mied Horst danach. Der kaputte Ford blieb an der Stelle stehen, bis der TÜV abgelaufen war.
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