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Die WahrheitSchnee, der auf Haufen fällt

Kolumne
von Andreas Milk

Das winterliche Schneeschippen ist eine Bewährungsprobe für jede Hausgemeinschaft – besonders wenn der Vermieter die Regie übernimmt.

U nsere Hausgemeinschaft besteht aus sieben Mietparteien und funktioniert vorbildlich. Der letzte Störenfried ist seit circa 2010 mausetot und wurde durch einen umgänglicheren Nachfolger ersetzt. Es herrscht ein erträglicher Geräuschpegel, außer wenn das junge Ding im Mittelgeschoss die Mädels zu Besuch hat. Die Treppen werden wöchentlich gewischt und die Kellerräume monatlich vom gröbsten Dreck befreit.

Zuverlässig eingehende Beträge lassen unseren Vermieter an jedem Ersten des Monats an das Gute in der Welt glauben. Es ist die pure Idylle. Sie endet, wenn der erste Schnee fällt. Denn der Vermieter hat uns ein Angebot gemacht, das wir nicht ablehnen konnten. Kümmert euch gefälligst selbst ums Schneeschippen, sagte er – sonst stelle ich jemanden dafür ein. Und ihr Pfeifen zahlt extra.

Extra zahlen wollten wir nicht. Wir begannen also, uns zu kümmern. Im ersten Jahr geschah das auf geradezu anarchische Weise. Wer Schnee sah und sich fürs Beseitigen zuständig fühlte, schritt zur Tat. Oder ließ es eben bleiben.

Ein Herr im Parterre reagierte schon auf zaghaften Schneefall mit dem Verteilen einer Wagenladung Granulat. Das junge Ding aus dem Mittelgeschoss war der Ansicht, Schnee müsse sich bloß festtreten und taue ja eh irgendwann. Ich bin ein Mensch des Ausgleichs, mag keine Extreme und entwickelte darum die moderate Hundehaufen-Regel. Sie lautet: Schnee an sich ist eigentlich gar nicht so schlimm. Liegt er aber so hoch, dass der durchschnittliche Kackhaufen eines mittelgroßen Tiers davon bedeckt wird, die Gefahr des versehentlichen Hineintretens sich also erhöht, besteht Handlungsbedarf. Sonst nicht.

Unser Vermieter, weniger anarchisch veranlagt als unsere muntere kleine Truppe, sah sich das eine Weile an und verfügte schließlich, dass es ein festes Regelwerk brauche. Die Konsequenz war ein strikt festgeschriebener, wöchentlicher Wechsel der Schneezuständigkeit. Brillant in der Theorie – ein Debakel in der Praxis: Es schneite in jenem Winter exakt eine Woche lang.

Ausbaden musste es die tüdelige Alte nebenan. Weil allerdings das Sanitätshaus auf die Schnelle keine Schneepflug-Aufsätze für ihren Rollator beschaffen konnte, übernahmen die übrigen Mitglieder unserer Hausgemeinschaft den Schneejob nach Gutdünken, Laune und individueller Tagesform. Womit wir wieder bei der Anarchie waren. Na gut, die Sache mit dem Wochenplan sei gescheitert, erklärte der Vermieter zerknirscht. Er kündigte fürs Folgejahr ein neues Verfahren zur Schneeproblematik an.

Wie das aussieht, erfuhren wir nun am Totensonntag. Es gibt jetzt die Schneekarte. Wer sie im Briefkasten findet, behält sie bis zum nächsten Schnee, räumt das Zeugs weg und wirft die Karte dem Nachbarn in den Kasten. Es wird sich zeigen, ob diese Methode taugt. Es sind schon weniger brisante Schriftstücke auf diesem Planeten, nun ja, „verschwunden“. Und apropos Planet: Ich vertraue darauf, dass die globale Erwärmung unser kleines Problem eines Tages löst.

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