Die Wahrheit: Brandstifter Biedermann
Der Berliner Markus M. kümmert sich höchst eigennützig um Flüchtlingsunterkünfte. Ein Frontbericht.
Etwa zwanzig Menschen stehen frierend vor dem brennenden Haus einer Nebenstraße in Berlin-Neukölln. Es ist Abend. Aus Wohnungen im zweiten Stock kommt dichter Rauch. Das Feuer hat gerade auch die Behausung darüber erfasst. Markus M., der Mieter dieser Wohnung, schaut reglos zu, wie die Feuerwehr versucht, den Brand zu löschen.
Während seine Frau die Hände vor’sGesicht schlägt und „Ogottogott“ schluchzt, scheint der 44-Jährige gelassen zu sein. „Jetzt können die sich für ihre Flüchtlinge eine andere Unterkunft suchen“, sagt er. „Die wollten uns da nämlich welche einquartieren. Unsere eigene Hausverwaltung. Na, daraus wird nichts mehr“, fügt er hinzu und lacht kurz auf. „Die zweite Etage steht seit Wochen leer“, ergänzt Frau M. unter Tränen, „da haben sie es nicht geschafft, ein paar deutsche Mieter zu finden. Aber jetzt – kaum kommen ein paar Flüchtlinge, stehen denen Türen und Tore offen.“
Es gibt einen Knall, die Menschen auf dem Gehsteig zucken zusammen. Frau M. dreht sich weg. Markus M. schaut nach oben, wo jetzt auch Flammen aus seiner Wohnung schlagen. „Das sind die Fenster“, sagt der Hauptbrandmeister, „die platzen, wenn’szu heiß wird.“ Ob er denn schon sagen könne, warum das Feuer ausgebrochen ist. „Da zuerst die Wohnungen im Zweiten brannten, und dort ja derzeit niemand wohnt …“, antwortet er und macht eine kleine Pause, „… also, wir gehen von Brandstiftung aus.“
Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte haben in den letzten Wochen zugenommen. Noch zünden die Brandstifter die leeren Häuser nur an, um zu verhindern, dass dort Flüchtlinge untergebracht werden. Auch hier, in Berlin-Neukölln, scheint dies der Fall zu sein. Neu ist, dass dies in einem bewohnten Mietshaus geschieht.
Irgendwo, nur nicht hier
„Das geht ja so nicht weiter mit den Flüchtlingen“, sagt Markus M. „Dass die irgendwo hinmüssen, ist schon klar, aber doch nicht hier. Mitten in der Stadt. Meinetwegen am Stadtrand oder auf dem Land.“ Markus M. holt Luft. „Erst bringen sie die in leeren Wohnungen unter, und dann schmeißen sie die richtigen Mieter raus. Gibt’s doch alles schon. Kannste doch jeden Tag im Internet lesen. Erst kriegen die von uns Geld, dann nehmen sie uns die Wohnungen weg.“
Tatsächlich gibt es solche Meldungen. Vermieter, die Mietern kündigen, um in den Wohnungen Flüchtlinge unterzubringen. Aber diese Meldungen sind falsch, erfunden von der rechten Szene, um Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen. Noch ist in Deutschland kein Mieter wegen der Flüchtlingskrise aus seiner Wohnung geworfen worden.
„Kann aber jeden Tag so kommen“, sagt Markus M., „und dann stehen wir auf der Straße. Also wehret den Anfängen!“ Frau M. schlägt die Hände vors Gesicht: „Und das haste ja jetzt.“ Wir haken nach. Heißt das, dass Markus M. das Feuer gelegt hat? „Klar“, ruft Markus M., „wir haben jetzt genug um den heißen Brei herumgeredet. Als gestern dieser Brief kam, dass nächste Woche bei uns Flüchtlinge einziehen, da hab ich mir gedacht: Nicht mit mir! Jetzt heißt es, aus der Geschichte lernen. Im Erdgeschoss wohnt ein Grieche, der ist in den Sechzigern als Gastarbeiter hergekommen. Und – ist er in seine Heimat zurückgekehrt? Diese Flüchtis werden auch alle bleiben.“
Mit ein bisschen Benzin geht alles leichter
Jetzt schnauft Markus M. „Und dann hab ich bisschen Benzin durch die Türbriefschlitze im Zweiten gekippt und ein Streichholz hinterher. Sind jetzt erst mal nur zwei, drei Wohnungen, aber jedes bisschen hilft ja bekanntlich.“
Einer der Feuerwehrmänner gibt ein Zeichen. „Die Brände im Zweiten sind fürs Erste unter Kontrolle“, sagt der Hauptbrandmeister, „und bei der dritten Etage haben wir jetzt auch gute Chancen. Doch das Haus wird länger nicht bewohnbar sein. Die ausgebrannten Wohnungen müssen komplett saniert werden.“
Markus M. lacht. „So eine Sanierung kann dauern. Unter’nem halben Jahr ist da nichts zu machen. Hier ziehen jetzt erst mal keine Flüchtis ein. Und danach …“, er schüttelt den Kopf, „… ich glaube, dass die Hausverwaltung ihre Pläne noch mal überdenkt.“ Findet er es nicht extrem, Wohnungen anzuzünden, um Flüchtlinge zu vertreiben? Immerhin ist jetzt auch seine Wohnung abgebrannt. „Ach, ein paar Opfer muss man schon bringen – für Deutschland.“ Und wie ist es so, plötzlich selbst ohne Hab und Gut dazustehen und nicht zu wissen, wo man heute Nacht schlafen soll? „Scheiße ist das!“, skandiert Markus M. laut. „Da sehn Se mal. Und alles nur wegen den Flüchtlingen. Wegen denen stehen jetzt aufrechte Deutsche auf der Straße.“
„Der Herr M.“, unterbricht der Hauptbrandmeister, „der wird für die nächsten Jahre keine Sorgen haben, wo er wohnt. Den holen gleich die Kollegen von der Polizei.“ Herr M. blickt verliebt seine Frau an. „Und wenn ich wieder rauskomme, hat meine Frau ja ‚ ne neue Wohnung, nicht wahr?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!