Die Wahrheit: Nageln wie nie
Ein zunächst misstrauisch beäugter Neuzugang im Werkzeugkeller führt schließlich zur Erkenntnis: Integration ist einfach der Hammer.
„Seht mal alle her“, rief der alte deutsche Hammer aufgebracht, nachdem der Chef des Hauses die Tür zum Keller geschlossen hatte und wieder verschwunden war. Die Blicke der Werkzeugkellerbewohner wanderten zu einer leeren Pappschachtel, die ganz neu zwischen den Altkartons lag.
„Was ist das?“, fragte eine verunsicherte Mutter. „Diese Verpackung, liebe Mitbewohner, gehört zu einem Multifunktionswerkzeug“, schnaufte der Hammer verärgert. „Ein Multiwas?“, erkundigte sich die Stylo-Schraube überrascht. Sie war stets gut angezogen und zugleich äußert schreckhaft. Eine Schreckschraube eben. „Ja, ein Multifunktionswerkzeug. Dieses Teil kann einfach alles, es nimmt uns ganz sicher unsere Arbeit weg. Es wird uns alle überflüssig machen!“
Das Raunen der alten Werkzeuge
Ein entsetztes Raunen ging durch die Menge der versammelten Old-School-Werkzeuge. Alle hatten Angst und sorgten sich. Einzig der alkoholisierte Verdünner musste beim Wort „überflüssig“ kichern. „Übel, übel“, rief der kleine Dübel (und verschwand in der Wand).
„Das können wir nicht zulassen, wir müssen uns wehren“, sagte das nicht besonders zurückhaltende Ventil. Es war in Dresden produziert worden und verschaffte seinem Ärger gern lauthals Luft.
„Ganz ruhig, Brauner. Da hast doch nur Angst vor Veränderung“, sagte die Deckenlampe besserwisserisch von oben herab. „Pfff!“, antwortete das Ventil verächtlich. „Stromfresse, du Energiesparschlampe“, sagte der Hammer. Er konnte die rote Lampe nicht leiden, denn sie war nicht die hellste. „Watt? Das ist ja unerhört!“, erwiderte die Lampe. Fassungslos.
Sie war für Zuwanderung und seit Kurzem mit einer neuen Birne zusammen. Ihre alte war einfach durchgebrannt und ihre neue hatte einen Migrationshintergrund. Sie stammte aus dem Osramischen Reich.
„Haltet ein, spaltet euch nicht“, unterbrach sie das weise Kant-Holz. „Handelt nur nach derjenigen Maxime, von der ihr zugleich wollen könnt, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
„Hä? Das verstehe ich nicht!“, sagte der alte Schwamm irritiert. Er war nicht besonders aufnahmefähig. Man nannte ihn auch den Horst Seehofer unter den Kellerbewohnern. Dann ertönte eine bislang unbekannte Stimme.
In der Transitzone für neue Werkzeuge
„Entschuldigt bitte, aber ich will wirklich niemandem etwas wegnehmen“, sagte sie. Es war die Stimme von MuFu, dem Multifunktionswerkzeug, über das sie die ganze Zeit gesprochen hatten. Es versteckte sich auf der anderen Seite des Raums im Billy-Regal, in der Transitzone für neue Werkzeuge.
„Geh dahin zurück, wo du herkommst, wir wollen dich hier nicht haben!“, brüllte der Hammer mit hochrotem Dickkopf. „Aber ich will doch nur eine Zukunft haben. Meine Heimat, den Baumarkt, gibt es nicht mehr“, erklärte MuFu traurig.
„Ich habe eine Idee“, sagte nun der Pinsel, dick auftragend. „Warum freuen wir uns nicht einfach, dass jemand Neues da ist?“ – „Wie meinst du das?“, bohrte die Bosch nach.
„Nun, wir alle leben seit Jahren zusammen in diesem Werkzeugkeller. Immer wieder kam jemand Neues hinzu. Und hat es uns geschadet? Nein! Veränderungen machen das Leben bunter. Hammer, du bist ein Thor, wenn du sagst, dass hier kein Platz für jemand Neues ist.“
„Pinsel hat recht. Vielleicht sollten wir alle zusammen was unternehmen. Wir brauchen ein gemeinsames Projekt“, sagte eine überdrehte Schraube, relativ locker.
„Ich glaube, ich habe gute Neuigkeiten für euch“, sagte MuFu vorsichtig. „Morgen will unser Besitzer ein Gartenhaus bauen. Und dafür, ob ihr es glaubt oder nicht, braucht er uns alle. Denn ich kann zwar vieles, aber eben nicht alles.“
Grenzenloser Jubel bricht aus
Kurze Zeit herrschte Stille, dann brach grenzenloser Jubel aus. „Voll scharf“, rief das Cutter. Stumpf.
„Lasst uns zusammenhalten“, rief der Mehrkomponenten-Kleber. Offen. Der Hammer überlegte kurz, dann nickte er. „Na, wenn das so ist, dann werde ich ab sofort so tief und fest nageln wie nie zuvor.“
Im selben Moment begann im Hintergrund der Swingschleifer damit, Musik zu machen. Wobei er vom Schnellspanner heimlich beobachtet wurde. Zusammen stimmten sie ihre Hymne an: Schleif ist Schleif.
Aber das ist eine andere Geschichte. Diese ist nun zu Ende, und wir alle haben gelernt: Man sollte nicht jedes fremde Werkzeug gleich in eine Schublade stecken.
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