Die Wahrheit: Das diskriminierte Fahrrad
Die Welt wird immer komplizierter, auch die des Velos. Da kann es schon mal zu Verwicklungen beim Neukauf kommen.
Ich hatte in meinem Leben mehr Autos als Fahrräder. Selten hatten die Wagen mehr als zwei Jahre Tüv und kamen meist auch nicht durch. Ein neues zu kaufen, war oft billiger, als es zu reparieren. Es begann mit einem VW Käfer, den ersten für 120 Mark, den nächsten für 250 Mark, ein VW Variant, noch ein Käfer, dann Opel Kadett, dann Karman Ghia, Opel Ascona Kombi, Ford Consul Kombi, Ford Granada Kombi, noch ein Consul, Mercedes Kombi, 5er BMW, VW Passat Kombi und inzwischen Volvo V 70, insgesamt etwa 14 bis 16 Fahrzeuge bisher, ohne die sieben Motorräder, die Mofas und das Moped.
Fahrräder hatte ich nur fünf. Derzeit fahre ich ein mintfarbenes Damenrad, eine echte „Scheeese“, wie wir in Ostwestfalen sagen. Ich hasse Fahrrad fahren. Seit der Kindheit habe ich Gegenwind, egal in welche Richtung ich fahre. Bis heute. Auf beiden Wegen, hin und zurück! Oder die Städte sind entschieden zu hügelig, wie Kassel.
Nun liebe ich seit einiger Zeit eine Frau, die für ihr Leben gern Fahrrad fährt. Plötzlich habe ich einen Fahrradträger hinten am V 70, und ich muss überall trampeln und strampeln. Um den Maschsee war ein müder Einstieg, es folgte ums Steinhuder Meer, der Weser-Radweg, jetzt Bodensee. Ich kam mit meinem Mint-Rad nicht mehr hinterher.
Also, dachte ich, ich bin über 50, es wird Zeit für ein neues Rad. Das sechste Fahrrad im sechsten Lebensjahrzehnt. Ich wollte ein 28er mit mehreren Gängen. Aber so einfach ist die Welt nicht mehr. Ich geriet quasi auf eine Art Fahrrad-Catwalk.
Die einfachste Unterscheidung war noch Ketten- oder Naben-Schaltung. Ansonsten war das Angebot schlimmer als die Produktpalette von Opel. Urban Bikes – Lifestyle – und Cityräder! Dann Speedbikes! Das waren mal „Rennräder“. Transporträder, Falträder, Reiseräder, Trecking-Räder, Mountain-Räder, Rumsteh-Räder, Sexy-mini-super-flower-pop-op-Räder!!
Vor allem wollte man mir vehement ein E-Bike verkaufen. So viel Geld gebe ich aber noch nicht mal für ein Auto aus. Außerdem würde meine Freundin mich sofort verlassen, wenn ich mit einem E-Bike heimkäme, und ich muss ehrlich sagen – zu Recht! Ich fahre, um zu treten, nicht um zu rollen.
Eins stand in der Ecke. Das gefiel mir. „Ist aber die alte Edition!“, hieß es. „Bin ich auch!“, sagte ich. Dann wurde ich vermessen. Der Abstand von Sattel zum Lenker, vom Lenker zum Hirn, vom Hintern zur Pedale und vom Arsch zum Asphalt wurde ausgerechnet und eingestellt. Und das Schlimmste: Es passte! Eigentlich sucht man nicht mehr das Rad für den Herrn, sondern den Herrn fürs Rad. Aber es fährt sich super!
Nur mein Mintfarbenes ist schwer verstimmt und steht beleidigt in der Garage. Immer wenn ich mit dem Neuen fahren will, fehlt Luft auf dem Reifen. Ich bin sicher, das Mintene lässt dem Neuen nachts heimlich die Luft ab. Jetzt war sogar was verbogen. Ich glaube, es geht ihm an die Speichen! Und wenn ich am Mint-Rad vorbeigehe, um das Neue zu holen, flüstert es durch sein Ventil: „Das ist Altersdiskriminierung, du Arsch!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!