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Die WahrheitSchlichter Dichter

Bei Geselligkeiten wird es oft in der Küche vermeintlich tiefschürfend, doch generell gilt: Je simpler gestrickt, desto wirkungsvoller.

E s hatte sich so ergeben. Man saß in der Küche von K., Freunde und Freunde von Freunden. Manche von ihnen hatte man seit zehn, fünfzehn Jahren nicht gesehen, es erwiesen sich Querverbindungen sonder Zahl. Irgendwann drehte sich das Palaver um gemeinsame Bekannte, die nicht zugegen waren. Eine etwa wurde als genial bezeichnet, eine als bescheuert, ein anderer galt als dumm, der nächste als luzide oder idiotisch.

In der Hoffnung, pastoral zu bezaubern, warf ich in dieser Phase eine Szene aus dem Klassiker „Manhattan“ ein, einer der besten Filme von Woody Allen. Die hysterisch-zappelige Kunstsalon-Tussi Mary (Diane Keaton) sagt zu Issac (Allen) über ihren Exmann: „Ich war es leid, meine Identität einem sehr brillanten, dominanten Mann unterzuordnen. Er ist ein Genie.“ Issac gibt zu bedenken: „Ach so, er ist ein Genie, Ellen ist ein Genie und Denis ist ein Genie. Du kennst ja sehr viele Genies. Du solltest mal ein paar dummen Menschen begegnen. Da könntest du noch etwas lernen.“

Ich hatte inzwischen geahnt, dass ich offene Türen einrennen würde. Und so war es denn auch. Es hat sich herumgesprochen, dass Kategorien wie diese uns nicht weit bringen, sofern sie als Merkmal gelten statt als ein Verhalten, das von Situationen abhängig sind.

Benachbart zu dieser mehr oder minder brillanten Einsicht jedoch fiel mir die Bemerkung eines Theaterautors auf, den ich neulich sagen hörte, wenn er es rational betrachte, könne er sich manchmal nicht so ernst nehmen. Nur das „manchmal“ störte mich, und wenige Minuten später spann sich seine Bemerkung für mich radikaler fort: rational betrachtet ist man ein Depp, meistens.

Von dort aus leuchtete eine Erinnerung auf, die intuitive Intelligenz quasi packte eine Episode aus, die etwa zwei Jahre alt sein dürfte. Ich assistierte einem recht bekannten Autor dabei, im Tonstudio einen Radio-Beitrag aufzunehmen. Er kommentierte frei improvisierend einige Gedichte, die er ausgewählt hatte. Nach einem Take von fünf oder sieben Minuten hob er den Kopf vom Mikro, öffnete die Augen und fragte in den Regieraum: „Habe ich gerade vollendeten Unsinn erzählt oder nicht?“

Man kann sich vorstellen, seine Offenheit machte den Mann noch sympathischer als ohnehin.

Wir kreisen den Komplex „Intelligenz“ nun aus einem weiteren Blinkwinkel ein, wie es der italienische Schriftsteller, Maler und Komponist Alberto Savinio unter dem Stichwort in seinem privaten Lexikon formulierte: „Die Schäden, die aus einer unvollkommenen Intelligenz erwachsen, sind so viel größer als die, die aus einer klaren und friedfertigen Dummheit herrühren.“

Das Motiv-Knäuel entwirren wir schließlich mit einem Griff in den hauseigenen Ordner namens „Lyrische Brosamen“. Denn wie so oft fasst ein Zweizeiler nach dem Motto „Je schlichter, desto dichter“ das Gebilde zusammen: „Mal ist man schlau, mal ist man dumm / man staunt so durch die Welt herum.“

Na, wer sagt’s denn. Beziehungsweise: Hätte ich, statt die Autorität Woody Allen zu zitieren, meine Verse in der Küche von K. vorgetragen, wäre ich schön dumm rübergekommen?

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