Die Wahrheit: Morgensonne und Dezimalidioten
Áine, die Gattin, wünschte sich Morgensonne im Schlafzimmer. Leider spielte das blöde Himmelsgestirn dabei nicht mit.
Áine, die Gattin, wünschte sich Morgensonne im Schlafzimmer. Leider spielte das blöde Himmelsgestirn dabei nicht mit. Es geht an der falschen Stelle auf: Die Sonnenstrahlen erreichen erst mittags das Zimmer, was für mich als Eule, wie Spätaufsteher im Fachjargon genannt werden, völlig ausreichend wäre. Áine hingegen ist eine Lerche, also eine Frühaufsteherin.
Das Ansinnen, mein Arbeitszimmer mit dem Schlafzimmer zu tauschen, wies ich aufgrund der Horrorvorstellung, mit Tausenden von Büchern umziehen zu müssen, kategorisch zurück. Stattdessen schlug ich törichterweise vor, ein Fenster in die Giebelwand einbauen zu lassen. Damit nahm das Unglück seinen Lauf.
Ich gab meine Bestellung bei Kevin auf, dem örtlichen Vertreter einer großen Fensterfirma in Cork. Das Fenster solle 150 Zentimeter breit und 75 Zentimeter hoch werden, sagte ich. Er werde vorbeikommen, um nachzumessen, meinte er. Das sei völlig sinnlos, entgegnete ich, schließlich gebe es noch gar kein Loch in der Wand, da die Lieferzeit für das Fenster ja zwei Wochen betrage und man Einbrechern, fremden Katzen und dem Regen nicht unnötig Zeit geben sollte, ins Haus einzudringen.
Nach dreizehn Tagen rückten wir der Wand mit schwerem Gerät zuleibe. Am Abend war ein exaktes Loch gestemmt, während sich der Zementstaub im ganzen Haus und in den Schränken verteilt hatte. Mir begann zu dämmern, dass der Bücherumzug das kleinere Übel gewesen wäre. Am Abend rief ich Kevin an und fragte, wann das Fenster am nächsten Tag geliefert würde. Er erzählte mir daraufhin von seinem schwarzen Auftragsbuch und seinem Faxgerät, zwischen denen es offenbar ein Missverständnis gegeben hatte. Ich verstand kein Wort, ahnte aber, dass meine Bestellung es nicht bis zur Fensterfirma nach Cork geschafft hatte. Kevin wollte das nun umgehend mit Dringlichkeitsvermerk nachholen. Zehn Tage würde es dennoch dauern. Die verbrachte ich damit, ein Misteldrosselpärchen am Nestbau in dem für das Fenster vorgesehenen Loch zu hindern.
Nach neun Tagen rief ich wieder bei Kevin an. Der Monteur käme am nächsten Vormittag, versprach er. Abends um sieben tauchte er endlich mit dem Fenster unter dem Arm auf. Ich sah schon von weitem, dass schon wieder etwa schiefgegangen war. Das Fenster war 35 Zentimeter zu schmal. Der Monteur behauptete, genau so sei es bestellt gewesen, und verwies auf seinen Auftragszettel. Dort stand "1150 Millimeter". Ich rief abermals bei Kevin an und berichtete ihm von dem Malheur. "Diese Idioten", schimpfte er, "ich habe ihnen doch die exakten Maße durchgegeben. Natürlich musste ich sie vorher umrechnen, denn wir arbeiten mit Millimetern. Also habe ich eine Eins davor gesetzt." Er meine wohl, er habe eine Null ans Ende gehängt, korrigierte ich. "Wieso eine Null?" fragte er. Irland ist seit einigen Jahren dezimalisiert, Kevin leider nicht.
Die Morgensonne kommt nun etwas später als geplant ins Schlafzimmer. Damit ist niemandem gedient: Für eine Eule ist das immer noch zu früh, für eine Lerche ist es zu spät.
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