Die Wahrheit: Freibeuter der Hüpfburg
Piraten zu Gast bei Hanseaten. Nach ihren Festnahmen werden derzeit die ersten Piraten nach Deutschland ausgeliefert und auch schon sehnsüchtig in Hamburg erwartet...
...wo man am meisten Erfahrung mit Seeräubern hat. Am Kai der Delinquenten warten schon speziell geschulte Betreuer auf die marinen Marodeure: Übersetzer und Untersetzer, Schiffsärzte, Therapeuten, Einzelfallhelfer und lustige Clowns, die die Stimmung der Piraten aufhellen sollen.
Ein paar Kennenlernspiele zu Anfang werden die angespannte Atmosphäre auflockern ( "Mein linker, linker Platz ist leer, ich wünsch mir den Somali her!"), danach folgen piratengerechte einfache Spiele wie "Schiffe versenken" und "Wer geht über die Planke?". Es folgt ein intensiver Integrationskurs: Pinkeln im Sitzen, Müll trennen und Fisch mit dem Fischmesser essen. Danach zur Abwechslung die gefürchteten Bastelkurse: Buddelschiffe verbuddeln, Seemannsknoten aufdröseln und Seemannsgarn aufwickeln.
Nebenbei müssen Auftritte in Hamburger Piratenhüpfburgen und auf dem Abenteuerspielplatz von Hagenbeck gegen Eintritt abgewickelt werden. Dadurch soll ein Teil der Kosten wieder hereingehüpft werden, ergänzt durch den Verkauf von Piraten-Merchandise. Im Piraten-Shop von Fuhlsbüttel verkaufen dann die Delinquenten selbstgewirkte Piratenkopftücher, die sie im Kartoffeldruckverfahren eigenhändig mit Piratenschädeln versehen haben. Dazu kommen Piratenfahnen, Piratenschweißbänder und selbst gebastelte Klabautermänner.
Abends stehen Tanzabende in Altenheimen ("Kriminaltango") auf dem Programm und vormittags Auftritte in Kitas zusammen mit dem Wasserverkehrskasper ganz im Sinne der präventiven Piraten-Pädagogik: "Nie bei Rot über die Wasserstraße!"
Bei so vielen Verpflichtungen bleibt wenig Zeit für eine individuelle Prozessvorbereitung - ein nicht ganz uneigennütziger Zug der Staatsanwaltschaft, der so windige Alibis der Angeklagten vermutlich erspart bleiben.
Da die Angeklagten ja bisher als unbescholten gelten, ist auch nicht mit größeren Freiheitsstrafen zu rechnen. Prozessbeobachter schätzen, dass es zu moderaten Bewährungsstrafen kommen wird, möglicherweise ergänzt durch zehn bis zwanzig Stunden gemeinnütziger Arbeit. Das bedeutet selbstverständlich dann Kartoffelschälen in der Kantine der Bundesmarine. Anschließend gehts dann zusammen mit den Bewährungshelfern zurück nach Somalia, wo es viel zu erzählen gibt.
Das Ganze kostet den Steuerzahler zwar mehr als das Lösegeld für zwei Supertanker, aber die Hansestadt setzt auf Abschreckung: Wenn die Kunde vom täglichen Labskaus und der unerbittlichen Spieltherapie nach Somalia dringt, wird der Pirat dort deutsche Schiffe meiden wie die Pest!
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