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Die WahrheitWo das Sportherz pocht

Abseits der Fußball-WM 2010: Der Schweizer liebste Leibesübungen. Fußballerisch wird momentan allerhand verschweizert.

Das Schwingen ist der älteste Sport der Schweiz, aber auch sonst sporteln die Eidgenossen heftig. Bild: reuters

Joachim Löw trainierte und spielte lange Zeit in Schweizer Mannschaften - dem alpinen Fußball hat das nicht viel genützt. Der aus Lörrach bei Basel stammende Ottmar Hitzfeld hat seine hochrheinisch-alemannische Diktion emilmäßig verschweizert, seit er Trainer der Schweizer Fußballmannschaft wurde. Die Schweiz überstand die Vorrunde trotzdem nicht.

Viele unter den helvetischen Sportsfreunden halten es mit dem Hessen Roland Koch: "Es gibt ein Leben jenseits der Politik." Deshalb sagen sich Schweizer jetzt: "Es gibt Sport jenseits von Fußball." Und wie! 80 Kilogramm schwere Steine stoßen, Ringkämpfe, die "Schwingkämpfe" heißen, auf Sägemehl austragen, Fahnenschwingen, Wett-Jodeln, Alphorn-Blasen.

Schon zwei Tage vor dem Halbfinalspiel in Afrika entdeckte die Neue Zürcher Zeitung am 5. 7. 2010 ganz ohne Ironie die "Schweiz als Weltmeister" - allerdings "im Zähneputzen". Der Zustand der Zähne von Schweizer Kindern ist weltmeisterlich, erstens dank fluoridhaltiger Zahnpasta seit über 40 Jahren und zweitens, weil Zahnbehandlungen nicht von der Krankenkasse bezahlt werden, was wiederum den heimischen Putzterror in Permanenz installierte.

Zu den Randsportarten in der Schweiz gehört der Wettstreit der "Militär-Hufschmiede". Ende Juni rief man zum Wettbewerb um wohlgeformte Hufeisen mit Feuer, Hammer und Amboss. Das "Kompetenzzentrum Veterinärdienst und Armeetiere" organisierte den Kampf der Hufschmiede im Schmieden, Beschlagen, Reiten und Schießen. Zwar unterhält keines der fünf beteiligten Länder (Schweiz, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Schweden) eine schlachtfeldtaugliche Kavallerie, aber für staatsfolkloristische Auftritte - etwa des Musikkorps der "Garde Républicaine" - macht so eine Operettentruppe zu Pferd allemal etwas her im Staatstheater.

Ins Sportherz geschlossen haben die Schweizer das Schießen. Am vorigen Wochenende trafen sich 45.000 Schweizer Schützen zum Eidgenössischen Schützenfest in Aarau. Geschossen wird mit der zu Hause aufbewahrten Ordonnanzwaffe - in der Regel ein modernes Sturmgewehr - auf einer im offenen Gelände gelegenen Schießanlage. Solche Anlagen finden sich heute selbst noch in jenen Schweizer Dörfern, in denen es längst keine Pfarrer, Metzger oder Bäcker mehr gibt, denn die Schweizer Soldaten müssen jährlich an einem Samstag oder Sonntag ein obligatorisches Schießprogramm absolvieren. Wer die Mindestpunktzahl nicht erreicht, muss in Uniform zum Nachexerzieren einrücken – ohne Sold.

Zur Herzensangelegenheit schaffte es das Schießen freilich nicht wegen dieser obligatorischen Veranstaltung, sondern dank der Beliebtheit der freiwilligen Ballerei in der Schützenvereinsgemütlichkeit, die auch der niedersächsische Wulff-Nachfolger David McAllister zu seiner zweiten Natur und Heimat erklärt hat. Zwischen Mai und Oktober finden jedes Wochenende Dutzende von Schützenfesten statt. Lange bevor die Frauen das Wahlrecht erhielten, durften sie einmal im Jahr (häufiger hätte jene Gemütlichkeit arg strapaziert) an der Seite ihrer Männer, die für Sicherheit bei der Waffenhandhabung sorgten, beim Frauenwettschießen teilnehmen.

Bei den patriotisch geeichten Eidgenossen lässt diese Leidenschaft fürs Schießen auch nicht nach, wenn sie emigrieren. Zum jüngsten Fest in Aarau kamen 230 Auslandsschweizer, um nach alter Väter Sitte zu ballern. Viele dieser von weit her angereisten Schützen vermissen in Kalifornien, Uganda, Belgien oder Chile eigentlich nichts - außer Schießanlagen, auf denen man unter freiem Himmel aus 300 Meter Distanz auf Scheiben schießen kann.

Die Schweizer Schützenfreunde aus dem französischen Lyon fahren deshalb mehrmals im Jahr zum Üben knapp 200 Kilometer in die Westschweiz. Ein Sportsfreund aus Holland erklärte, dass er selbst seinen Freunden nichts von seinem Hobby erzähle. Eine Schützensippe aus Vancouver reiste mit dem 89-jährigen Großvater, dem 47-jährigen Sohn und zwei 11- und 13-jährigen Enkelinnen an.

Was ist Patriotismus? Großvater lässt es knallen, obwohl ein Auge trüb und der Abzugsfinger seit einem Schlaganfall gelähmt ist.

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