Die Wahrheit: Im Jahr des Hasen: Der Fischartikel
Wenn einem Korrespondenten in den von Chinesen bewohnten Gefilden nichts mehr einfällt, kann er immer noch den Fischartikel schreiben. ...
... Der läuft praktisch wie von selbst. Zunächst muss darin erklärt werden, weshalb für die Chinesen der Fisch ein Glückssymbol ist. Also schreibt man: Die Aussprache des Zeichens für Fisch und die des Zeichens für Überschuss oder Überfluss ist auf Hochchinesisch gleich. Beides spricht man yü. Wer etwas mehr tun will, ergänzt: Weil Fische gern paarweise unterwegs sind, gelten sie bei chinesischen Hochzeiten als Glücksbringer. Und weil sie viele Eier legen, garantieren sie einem frisch vermählten Paar auch Nachwuchs. Hat man diese Standards eingeführt, kann man sich an die mehr oder weniger aktuellen Details machen.
Zum Beispiel, dass Fische aus der Familie der Knochenzüngler als besonders glücksbringend gelten, weil die Chinesen angeblich glauben, dass sie Abkömmlinge der Drachen seien. Diese Fische werden in Singapur für 1.400 bis 2.000 US-Dollar verkauft (Reuters, 15. Juni 2009). Oder dass ein Restaurant in Festland-China 580.000 Yuan für einen achtundvierzig Kilo schweren "golden cash tiger fish" ausgegeben hat, aber von den Kunden pro Kilogramm zubereiteten Fisch nur 2.000 Yuan, also umgerechnet rund 220 Euro verlangte, "without explaining the prospect of losing money on a dish that cost the restaurant 12,000 yuan per kg." (Reuters, 3. April 2007). Oder aber dass auf dem Qingshiqiao-Haustiermarkt in der südwestchineschen Millionenstadt Chengdu Papageienfische verkauft werden, denen man per Laser die chinesischen Schriftzeichen für "Glück", "Langes Leben" oder "Möge dein Geschäft boomen" in die Schuppen tätowiert hat, was ihren Preis mehr als verdoppelt (AFP, 13. August 2009).
Selten aber werden neue Ansätze in der chinesischen Fischberichterstattung verfolgt. So habe ich bisher noch keinen Artikel über den immensen Zierfischverschleiß gelesen. Doch täglich sehe ich in Goldfischgläsern, Vasen und Miniaturaquarien von Wohnungen, Büros und Zahnarztpraxen Fische ihre letzten Kiemenzüge tun, einfach weil das Wasser nicht gewechselt wurde oder das Behältnis zu beengt ist. Seit ein paar Jahren ist es auch üblich, in Supermärkten oder auf der Straße Fische in tischtennisballgroßen Plastikkugeln zu verkaufen. Der Tod eines solchen Tiers innerhalb eines oder zweier Tage ist relativ gewiss. Letztlich müssen in China täglich tonnenweise Zierfische draufgehen, die dann wie Schnittblumen gegen neue ausgewechselt werden.
Ich habe leider keine richtige Erklärung dafür, weshalb man so unachtsam mit einer Kreatur umgeht, die angeblich Glück bringt. Ich weiß nur, dass die Silbe yü gleich oder leicht anders betont laut Wörterbuch auch dumm, blöd, jemanden für dumm verkaufen, versanden, kegeln gehen und Schlamm bedeuten kann. Vielleicht schneidert einer mal aus dem milliardenfachen Fischtod in China und einer dieser Homophonitäten einen neuen, schönen Aberglauben. Mir fällt gerade nichts Rechtes ein.
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